Bundestagswahl 2025: So funktioniert kluges und taktisches Wählen
Bei der Bundestagswahl steht die Zukunft unserer Demokratie auf dem Spiel, denn die Brandmauer gegen die Rechtsextremen im Bundestag bröckelt bereits. Wir haben die Politologin Sarah Wagner gefragt, wie Wählen nochmal genau funktioniert – und was wir dabei beachten sollten.

Bei der Bundestagswahl steht die Zukunft unserer Demokratie auf dem Spiel, denn die Brandmauer gegen die Rechtsextremen im Bundestag bröckelt bereits. Wir haben die Politologin Sarah Wagner gefragt, wie Wählen nochmal genau funktioniert – und was wir dabei beachten sollten.
1) Wie sollte ich wählen, wenn ich dem Rechtsruck in Deutschland entgegenwirken will?
Gegen den Rechtsruck ist es erstmal total wichtig, überhaupt wählen zu gehen – selbst wenn man mit keiner Partei zu 100 Prozent übereinstimmt.
Mit der Erststimme wird der:die Direktkandidat:in für den eigenen Wahlkreis gewählt. Die Person mit den meisten Stimmen gewinnt das Direktmandat und zieht in den Bundestag ein. Dafür ist es wichtig, sich zu informieren: Wer sind die Wahlkreiskandidat:innen, wer von ihnen hat eine realistische Chance, und gibt es Empfehlungen für taktisches Wählen? Es kann zum Beispiel sein, dass es einen rechten Kandidaten oder eine rechte Kandidatin gibt, und dass andere Parteien eine gezielte Empfehlung ausgeben, welche Partei man wählen sollte, um diese:n zu verhindern. Solche Infos findet man in der Lokalpresse. Unter zweitstimme.org kann man auch den eigenen Wahlkreis oder die Postleitzahl eingeben und herausfinden, welche:r Kandidat:in die besten Chancen hat. Wer sich nicht informiert, riskiert, seine Erststimme zu verschenken.
Mit der Zweitstimme entscheidet man sich für eine Partei. Hierfür sollte man sich informieren, welche Parteien eine realistische Chance haben, in den Bundestag zu kommen – etwa, indem man sich in den Umfragen anschaut, welche über der Fünfprozentmarke liegen.
2) Ist es klug, eine kleine Partei zu wählen, auch wenn ich fürchten muss, dass sie nicht in den Bundestag kommt?
Das kommt darauf an. Kleine Parteien sind total wichtig für unsere Demokratie. Nur weil sie nicht unbedingt in den Bundestag kommen, heißt das nicht, dass sie keinen Einfluss haben und nicht langfristig wichtig werden können. Diese Parteien bedienen oft thematische Nischen, welche die Großparteien gar nicht auf dem Schirm haben: Digitales oder Tierschutz etwa. Wenn eine Partei bei der Bundestagswahl über 0,5 Prozent der Stimmanteile bekommt, wird sie Teil der staatlichen Parteienteilfinanzierung, sodass sie in den Wahlkampf und ihre Zukunft investieren kann. Das hilft, dass ihre Themen weiterhin repräsentiert sind. Wenn einem diese Themen sehr wichtig sind, kann man die entsprechende Partei also wählen.
Wenn man allerdings wirklich möchte, dass die gewählte Partei zur Sitzverteilung im Bundestag beiträgt – als Bollwerk gegen die Rechten zum Beispiel –, sollte man eher eine Partei wählen, die voraussichtlich in den Bundestag einziehen wird.
3) Ist meine Stimme komplett verschenkt, wenn "meine" Partei nicht reinkommt?
© Oleg Fensen
Jein. Im Sinne der parlamentarischen Wirksamkeit ist sie für diese Wahl zwar verschenkt. Aber Kleinstparteien können, wie gesagt, langfristig wichtig werden. Wenn man sich sehr stark für deren Themen interessiert, sollte man sie wählen, damit sie mehr Aufmerksamkeit bekommen und die größeren Parteien unter Druck setzen können, diese Themen ebenfalls aufzugreifen. Die Grünen waren auch mal eine Kleinstpartei, die 1980 gerade mal 1,5 Prozent der Zweitstimmen bekommen hat. Je mehr Leute sie gewählt haben, desto stärker griffen die anderen Parteien das Thema Umwelt auf.
4) Ist Stimmen-Splitting sinnvoll, also mit der Erststimme eine andere Partei zu wählen als mit der Zweitstimme?
Supersinnvoll! Mit der Erststimme ist es wirklich wichtig, Direktkandidat:innen zu wählen, die eine realistische Chance haben, den Wahlkreis zu gewinnen – gerade, wenn dort potenziell ein:e AfD-Kandidat:in den Zuschlag bekommen könnte. In diesem Fall ist es strategisch sinnvoll, eine Partei zu wählen, die man vielleicht nicht ganz so gut findet, die den Wahlkreis aber gewinnen könnte. Dies ist eine Überlegung, die man bei der Zweitstimme nicht so stark anstellen muss – hier kann man inhaltliche Überzeugungen priorisieren und danach entscheiden, welche der Parteien, die die Fünfprozenthürde voraussichtlich nehmen, einem inhaltlich am nächsten steht.
5) Welche Partei setzt sich am stärksten für die Rechte von Frauen ein?
Die Grünen und Die Linke machen feministische Politik. Hier sehen wir Themen wie Gleichstellung, Frauenrechte, Diversität und auch Kitaplätze und Ganztagsschulen, was für Frauen und ihre Möglichkeiten am Arbeitsmarkt wichtig ist. Die SPD ist ähnlich positioniert, aber ein bisschen pragmatischer ausgerichtet. SPD, Grüne und Linke wollen den Schwangerschaftsabbruch legalisieren. Bei der FDP haben wir ebenfalls das Thema Gleichstellung, aber mehr im Sinne von Chancengleichheit und weniger im feministischen Verständnis von Frauenrechten. Die CDU/CSU steht für eine traditionelle Familienpolitik. Bei der AfD sehen wir eine antifeministische Agenda, und beim BSW ist die Sache etwas komplizierter, weil die Partei in ihrem Programm zwar mehr Kitaplätze und Ganztagsschulen erwähnt, auf der anderen Seite aber die Rechte von Transfrauen einschränken möchte.
6) Was rate ich meinen wahlberechtigten Kindern, die demografisch in der Minderheit sind, aber noch viel Zukunft vor sich haben?
Ich würde ihnen empfehlen, den Wahl-O-Mat zu nutzen, und überhaupt mal rauszufinden, welche Parteien es gibt, und wozu sie eine starke Meinung haben und wozu nicht. Und natürlich gibt es Parteien, die sich eher den langfristigen Herausforderungen stellen, die für die jüngere Generation wichtig sind, wie Klimawandel, Digitalisierung und soziale Gerechtigkeit. Daher ist es wichtig, sich über die Parteiprogramme zu informieren und zu schauen: Bei welcher Partei stehen meine Interessen im Vordergrund?
Wir sehen in Studien, dass bei Erstwähler:innen, die nicht wählen gehen, die Wahrscheinlichkeit massiv sinkt, dass sie es später tun werden. Daher sollten wir versuchen, junge Leute zu mobilisieren, und den eigenen Kindern oder Enkelkindern sagen: Komm, wir schauen uns den Wahl-O-Mat mal gemeinsam an, oder wir gehen auf den Marktplatz und reden mit den Parteien. Und vielleicht gehen wir am Sonntag auch zusammen zur Wahl.