Arbeitslos auf Social Media: Darum feiern jetzt immer mehr junge Frauen ihr Leben mit ALG 1!

In den sozialen Medien zeigen junge Langzeitarbeitslose ihr entspanntes Lotterleben zwischen Jobcenter, Lunchdates und Friseurbesuchen – und werden dafür gefeiert. Blanker Hohn – oder eine längst überfällige Entstigmatisierung von Kündigungen und Arbeitslosigkeit? 

Mai 7, 2025 - 20:36
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Arbeitslos auf Social Media: Darum feiern jetzt immer mehr junge Frauen ihr Leben mit ALG 1!

In den sozialen Medien zeigen junge Langzeitarbeitslose ihr entspanntes Lotterleben zwischen Jobcenter, Lunchdates und Friseurbesuchen – und werden dafür gefeiert. Blanker Hohn – oder eine längst überfällige Entstigmatisierung von Kündigungen und Arbeitslosigkeit? 

"Wie kann man fünf Mal die Woche neun Stunden arbeiten, um zwei Tage frei zu haben?", fragt Creatorin @laeryssa17 auf TikTok. Sie sei einfach nicht fürs Arbeiten gemacht. "Traumjob? Wieso soll ich davon träumen zu arbeiten?" Auch Nadine Wagenaar (34, seit fast einem Jahr arbeitslos) zeigt auf Instagram wie sie mit ihrem Hund zum Jobcenter oder ins Frühstückscafé spaziert – und ihr Leben mit ALG 1 offensichtlich genießt. Mittlerweile schauen ihr 60.000 Follower dabei zu. Warum bloß? 

Auf den ersten Blick sind diese neuen "Infaulencer" ein echter Aufreger, auf den zweiten – ziemlich mutig und progressiv: Statt sich leidend in die Schamecke zu verkriechen, gehen diese Frauen selbstbewusst nach vorne, machen "Realtalk über Bewerbungskämpfe" und zeigen, dass man "trotz Arbeitslosigkeit ein schönes Leben haben kann" – so erklärt es etwa @cc.blow, die sich selbst "Deutschlands fotzigste Arbeitslose" nennt, in Anlehnung an TV-Kult-Hartzer Arno Dübel. 

Kündigungen aus der Schamecke holen 

"Wer ernsthaft glaubt, Arbeitslosigkeit muss immer im Jogginganzug und maximal leidvoll auf dem Sofa stattfinden, hat ein veraltetes Bild im Kopf – geprägt von RTL Zwei-Dokus", sagt Nadine Wagenaar zu BRIGITTE. Sie sei schließlich keine Langzeitarbeitslose, die im speckigen Unterhemd vorm Fernseher mit überquellendem Aschenbecher und Bierdose säße und nicht einsehe, zu arbeiten, solange der Staat zahle. Nö. Wagenaar ist eine 34-jährige Akademikerin mit zwölfjähriger Berufserfahrung im Online-Marketing, die sich die Sinnfrage stellt: Was will ich wirklich mit meinem Leben anfangen? Und solange sie die Antwort nicht gefunden hat, "gönnt" sie sich halt das Geld aus ihrer Arbeitslosenversicherung – und steht dazu. 

Raus aus dem Hamsterrad

Damit treffen sie und andere arbeitslosen Provokateurinnen einen Nerv: „In der Social Media Welt gibt niemand zu, wenn er scheitert. Alle zeigen, wie erfolgreich, wie schön, was für einen schönen Urlaub, was für schöne Klamotten ich habe", sagt Nadine Wagenaar. Damit wolle sie brechen. 

Die Reaktionen? Gespalten. Während ihr viele schreiben, wie befreiend sie ihren Umgang mit Arbeitslosigkeit finden, kommentieren andere: "Ekelhaft, dir sollte man alle Gelder streichen." Einige werfen den Frauen eine Verharmlosigkeit von Arbeitslosigkeit vor. Die Zeit kritisierte etwa, dass Nadine und Co. nicht die Lebensrealität "echter Arbeitsloser" abbilden würden. Sie reagierte prompt: "Muss Arbeitslosigkeit denn immer gleich aussehen, damit sie gültig ist?" 

Nur wer schuftet, ist wertvoll?! Das war einmal! 

Die Gen Z und jüngere Millennials lehnen klassische Leistungsnarrative ("nur wer schuftet, ist wertvoll") ohnehin zunehmend ab. Sie setzen mehr auf Selbstfürsorge, Work-Life-Balance und ein authentisches Leben. In den sozialen Medien trenden Hashtags wie #Funemployment oder #CareerBreak. Öffentlich zu sagen: "Ich bin gerade nicht produktiv – und das ist okay" wird als Befreiung aus alten Rollenbildern gesehen. Pausen gelten als elementar wichtig, um psychisch und körperlich gesund zu bleiben. 

Wenn Pausen zum Stressfaktor werden  

Nur: Irgendwann tut es auch wieder gut, arbeiten zu gehen. Studien bestätigen, dass eine gut strukturierte Tagesroutine ein starker Schutzfaktor gegen Depression und Angststörungen ist. Auch nicht zu unterschätzen: die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz – für viele ein zentraler Glücksfaktor.  

Und Fakt ist auch: Ohne Moos nix los. Nach zwölf Monaten ist ohnehin Schluss mit ALG 1, 60 Prozent des alten Netto-Gehalts beträgt. Ohne ausreichende Ersparnisse – oder zumindest ein stabiles soziales Netz – kann eine Job-Pause schnell zum Stressfaktor werden. 

Arbeitslose als Gesicht für LinkedIn

Nadine Wagenaar will trotzdem nichts zurück ins Büro: "Das Nine-to-five hat mich nie erfüllt", sagt sie. Nun könne sie auf Social Media eine ihre Karrierepause kreativ inszenieren – vielleicht ein erster Schritt in Richtung Selbstständigkeit. "Ich hätte nie gedacht, dass ich in genau dieser Nische lande, aber ironischerweise ist sie die erfolgreichste, die ich hätte wählen können." 
Gerade durfte die Arbeitslose ausgerechnet das Job-Portal LinkedIn als Gesicht beim "OMR"-Festival vertreten. Sicherlich keine Lösung für alle.