Weiblicher Narzissmus: Was zeichnet eine Narzisstin aus?
Selbstzweifel, Perfektionismus, Bescheidenheit – weiblicher Narzissmus tritt oft völlig anders in Erscheinung als der "männliche". Expertin Esther Bockwyt erklärt, warum und was es damit auf sich hat.

Selbstzweifel, Perfektionismus, Bescheidenheit – weiblicher Narzissmus tritt oft völlig anders in Erscheinung als der "männliche". Expertin Esther Bockwyt erklärt, warum und was es damit auf sich hat.
Narzisstische Menschen sind selbstverliebt, rücksichtslos und extrem egoistisch – zumindest stellen wir sie uns so vor. Meist wirken sie auf uns wie riesige Angeber, böse Menschen und Energievampire, die andere Leute instrumentalisieren und aussaugen, um ihr eigenes Ego zu pushen. Was wir dabei (verständlicherweise ...) oft vergessen: Narzissmus ist eine Persönlichkeitsstörung, die von schweren Minderwertigkeitskomplexen und einem drastischen Mangel an Selbstbewusstsein ausgelöst wird.
Wir haben mit der Psychologin Esther Bockwyt gesprochen. Sie befasst sich intensiv mit dem Thema Narzissmus und kann erklären, was weiblichen Narzissmus ausmacht.
Weiblicher Narzissmus: Das steckt dahinter
"Weiblicher Narzissmus ist kein offizieller klinischer Begriff im Sinne einer anerkannten Diagnose wie zum Beispiel die Narzisstische Persönlichkeitsstörung, sondern ein beschreibendes Konzept, das ursprünglich darauf abzielte, dass übersteigerter Narzissmus wie er beschrieben und bekannt war, eher eine grandiose Ausdrucksform des Narzissmus war, den man häufig bei Männern sieht. Die Überlegung war, ob es eine andere Erscheinungsform des Narzissmus gibt, die eher typisch für Frauen ist", erklärt Bockwyt.
Die Ursachen für (weiblichen) Narzissmus
Grundsätzlich können sowohl Männer als auch Frauen eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickeln, "doch durch Erziehung, Rollenbilder und gesellschaftliche Prägung zeigen sie sich oft in geschlechtstypischer Weise". Die Ursachen sind bei beiden jedoch mehr oder weniger die gleichen:
- Mangelndes Selbstwertgefühl
- Gefühl von Minderwertigkeit
- Krankhafte Selbstzweifel
- Überzogene Selbstkritik
- Extremer Leistungsdruck
- Fixierung auf Status und Materielles
"Der eine zentrale ursächliche Faktor für Narzissmus in Bezug auf die Kindheitserfahrungen ist noch nicht gefunden. Im Verdacht stehen weiter sowohl ein vernachlässigendes oder auf andere Weise emotional missbräuchliches Beziehungsschema, als auch eine Art Überbehütung und Überhöhung des Kindes durch die Eltern", sagt Bockwyt. So gebe es Studien, die einen deutlichen Zusammenhang zwischen einem strafenden Erziehungsklima und Selbstwertproblemen aufzeigen. Psychologisch gesehen könne man heute kaum noch bestreiten, dass ein gewisses Maß an bedingungsloser Anerkennung durch die Eltern sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung ist.
Wie verhält sich eine narzisstische Frau?
Während Männer diese Mängel, Fehlprägungen und Unsicherheiten in der Regel eher überspielen, indem sie zum Beispiel mit Statussymbolen prahlen, andere verspotten oder ihre Mitmenschen durch ihr Verhalten klein machen, reagieren Frauen tendenziell anders.
"Wenn heute von 'Weiblichem Narzissmus' die Rede ist, meint man meist Erscheinungsformen, die verdeckt oder verletzlich auftreten – also anders als das grandiose, eher männlich konnotierte Bild", so Bockwyt.
Deshalb unterscheiden Psycholog:innen zum Teil zwischen weiblichem und männlichem oder herkömmlichem Narzissmus: Sie bezeichnen damit verschiedenartige Symptome beziehungsweise Ausprägungen desselben Problems. Diese sind zwar für das jeweilige Geschlecht typisch, allerdings ihm nicht ausschließlich vorbehalten. Heißt also: Es kann durchaus auch Männer geben, die einen weiblichen Narzissmus entwickeln und umgekehrt.
Mehr dazu liest du hier: Vulnerabler Narzissmus.
Was sind Anzeichen für weiblichen Narzissmus?
Eines der auffälligsten Merkmale weiblichen Narzissmus ist – dass man ihn nur sehr schwer als solchen erkennt und kaum wahrnimmt. Daher kann theoretisch in vielen Frauen (und Männern) eine Narzisstin stecken, von denen man es nie vermuten würde: In der stilsicheren Kollegin, der sich aufopfernden Freundin, der engelsgleichen Weltretterin, in dir ...
"Anders als klassischerweise nach Status, Erfolg und Macht zu streben, äußert sich bei Frauen das narzisstische Bedürfnis eher in Bezug auf Schönheit, Beziehung, Fürsorglichkeit oder soziale Bestätigung", erklärt Bockwyt.
1. Perfektionismus
Weibliche Narzissten geben sich niemals mit dem Durchschnitt zufrieden, sie wollen hoch hinaus. Dabei legen sie großen Wert auf ein makelloses, gepflegtes Äußeres und streben im Beruf und Privatleben nach Höchstleistungen, um Bewunderung zu erlangen.
2. Scheinbar sehr sicheres Auftreten
Beherrscht, stets bestmöglich vorbereitet und eine präzise Ausdrucksweise – ein starker Auftritt ist in den Augen einer Narzisstin die Voraussetzung für Anerkennung. Und eine super Fassade, um dahinter sämtliche Unsicherheiten zu verstecken.
3. Bescheidenheit
Auf Komplimente, insbesondere leistungs- oder persönlichkeitsbezogene, reagieren Narzisstinnen mit großer Bescheidenheit. Sie schreiben Erfolge und Sympathie in erster Linie ihrem ansprechenden Aussehen zu, einige weisen somit auch eine Tendenz zum Hochstapler-Syndrom auf.
4. Fehlerfrei
Weibliche Narzissten machen scheinbar niemals Fehler – denn zur Not haben sie immer eine Erklärung oder können die Schuld jemand anderem zuordnen. Nur ihre inneren Kritiker bekommen sie so leider nicht zum Schweigen.
5. Subtile emotionale Manipulation
Statt offener Dominanz nutzen sie oft Schuldgefühle, übertriebenes Selbstmitleid oder inszeniertes Drama, um Aufmerksamkeit zu bekommen und andere zu kontrollieren.
6. Mangel an Kritikfähigkeit
Kritik wird als Kränkung empfunden. Oft reagieren sie mit Überanpassung oder Abwehr, um das perfekte Bild aufrechtzuerhalten.
7. Mangelnde echte Empathie
Obwohl sie fürsorglich erscheinen können, fehlt ihnen oft echtes Einfühlungsvermögen.
Wie verhalten sich narzisstische Frauen in einer Beziehung?
Weiblicher Narzissmus kann sich auch in Liebesbeziehungen und Freundschaften bemerkbar machen. Partnerschaften mit weiblichen Narzissten zeichnen sich durch starke Schwankungen aus. Sucht das Gegenüber Nähe oder zeigt Interesse, ziehen sich die Betroffenen zurück. Anders ist es, wenn ihnen Desinteresse entgegengebracht wird. Dann werden weibliche Narzissten angespornt, um die Liebe zu kämpfen.
"Wer emotional im narzisstischen Sinne sehr bedürftig ist, versucht unbewusst sein Leben lang das Vakuum zu füllen", erklärt Bockwyt. "Durch klammerndes, emotional bedürftiges Beziehungsverhalten macht man sich zwar einerseits klein, aber auf der anderen Seite sorgt man dafür, dass sich der Partner um sich dreht. Man braucht aber dennoch ständig Liebesbeweise, also im Prinzip die Versicherung, dass man immer noch wertvoll genug für den anderen ist." Auch Untreue sei oftmals narzisstisch bedingt.
Mehr dazu findest du hier: Narzissmus in der Beziehung.
Weiblicher Narzissmus – ein gesellschaftliches Problem?
Während von Männern Durchsetzungsfähigkeit und Dominanz erwartet werden, sollen Frauen anpassungsfähig, attraktiv und sozial kompetent sein. Das fördert verdeckte, auf soziale Kontrolle und Perfektionismus ausgerichtete, narzisstische Verhaltensweisen.
Soziale Medien wie Instagram und TikTok bieten zusätzlich eine ideale Plattform für Selbstdarstellung, Imagepflege und das Einholen von Bestätigung durch Likes, Kommentare und Follower. Gesellschaftliche Erwartungen und soziale Medien sind vielleicht nicht die Ursache für (weiblichen) Narzissmus, sie können die Symptome jedoch verstärken.
Aber es gibt auch positive Wendungen: "Es gibt ein erhöhtes Bewusstsein für psychische Gesundheit. Und auch für Erziehungsstile, die problematisch wirken können", meint Bockwyt. Doch sie warnt gleichzeitig: "Heute gilt Vieles zu schnell als toxisch und schädigend.[...] Auch führt der Trend zur sogenannten Selbstliebe letztlich im Extrem auch wieder zur Selbstfixierung. Es ist wichtig, sich selbst anzunehmen, wertzuschätzen und fürsorglich mit sich umzugehen. Aber man sollte nicht aus dem Blick verlieren: Eine gute Therapie gegen Narzissmus ist auch, die anderen in den Blick zu nehmen und nicht nur um sich selber zu kreisen."
Wie kann man es vermeiden, in narzisstische Muster zu verfallen?
Selbstverliebt, aber nicht zu selbstfixiert – klingt ziemlich kompliziert. Das weiß auch Bockwyt: "Das Selbstwertgefühl nachhaltig zu verändern ist, anders als in der populären Psychologie oft suggeriert, kein kurzer, magischer Weg." Sich ein paar Instagram-Post zum Thema Selbstwert stärken durchzulesen, reicht in den manchen Fällen also nicht. Schließlich sind wir alle komplexe Wesen mit individuellen Lebenserfahrungen.
"Perfektionismus reduzieren, gesunde eigene Grenzen entwickeln und leben, einen wohlwollenden Blick auf sich selbst, aber auch auf andere walten lassen. Mutig sein und sich selbst etwas zutrauen, dabei auch mal aus der Komfortzone austreten", schlägt Bockwyt vor, um ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen, ohne in narzisstische Muster zu verfallen. Es bedarf also Zeit, Arbeit, Energie und vielleicht einer Therapie, um uns selbst vollständig zu verstehen und die Person zu werden, die wir sein wollen. Dabei dürfen wir aber auch mal scheitern.
Quellen:
- Bockwyt, Esther; Interview; Mai 2025.
- Wardetzki, Bärbel: "Weiblicher Narzissmus", Kösel, 2021.