Tipps für die Lebensmitte: "Wir brauchen Wut, um uns zu befreien"
Die Wechseljahre sind der Anfang vom Ende? Nicht für Lisa Ortgies. Warum mit der Lebensmitte die beste Zeit beginnt und Yoga und Gelassenheit für die TV-Moderatorin die falschen Strategien sind.

Die Wechseljahre sind der Anfang vom Ende? Nicht für Lisa Ortgies. Warum mit der Lebensmitte die beste Zeit beginnt und Yoga und Gelassenheit für die TV-Moderatorin die falschen Strategien sind.
Fühlen Sie sich so alt, wie Sie sind?
Ich selbst mache mir eigentlich kaum Gedanken über mein Alter. In meinem Alltag oder für meine Aufgaben hat mein Alter keine Relevanz. Die Kategorie wird mir vor allem von außen übergestülpt. Etwa im Kosmetikladen, wenn es heißt: "Sie strahlen ja so schön, aber die geplatzten Äderchen, das ist doch Rosazea!" Man bekommt Diagnosen, nach denen man gar nicht gefragt hat. Oder im Job, wenn alles, was im Digitalen stattfinden soll, automatisch an die Millennials geht. Als wären wir in den 90ern stehen geblieben. Ich will und werde aber noch mindestens 15 Jahre arbeiten!
Macht Sie das wütend?
Ja, immer mehr. Viele Frauen in meinem Alter machen ganz viel Yoga, um ausgeglichener zu werden. Natürlich ist das gut, aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir stattdessen zu unserer Wut zurückfinden sollten. Die brauchen wir, um uns zu befreien.
Wovon?
Von der jahrzehntelangen Konditionierung, die eigenen Bedürfnisse zurückgestellt und sich an Rollenerwartungen angepasst zu haben. Das gilt auch auf gesellschaftlicher Ebene. Ich kann mich ja schon selbst nicht mehr hören, wenn ich sage, 75 Prozent der Hausarbeit bleibt an den Frauen hängen oder nur sechs Prozent der Männer arbeiten in Teilzeit. Es kann doch nicht wahr sein, dass diese Zahlen praktisch unverändert bleiben! Der Männerforscher Björn Süffke sagt, dass es in diesem Tempo noch 400 Jahre bis zur Gleichstellung braucht. Ganz ehrlich: Diese Geduld habe ich nicht!
Was empfehlen Sie?
Es beginnt damit, sich ernst zu nehmen und hinzuschauen: Will ich mein Leben wirklich so, wie es jetzt ist? Welche Verantwortung will ich abgeben? Wieviel Zeit brauche ich, um meine Ziele zu verfolgen? Meine Ziele, nicht die der Familie. Das kann kollidieren… Frauen sollten sich durchaus mal fragen: Brauche ich diesen Mann oder diese Freunde noch? Und dann: einfach mal Nein sagen oder sogar etwas vor die Wand fahren lassen, das schon lange belastet. Oder diese ganze Emotionsarbeit, die Frauen in Beziehungen übernehmen, weil Männer sich immer noch eine Konditionierung gefallen lassen, die die Verbindung von Kopf und Körper trennt, und sie so ihr eigenes Gefühlspotential verschenken! Auch dagegen kann man sich wehren mit „Ich weiß auch nicht, warum es dir so geht. Darum kann ich mich jetzt nicht kümmern.“ Ich möchte da wirklich zu kleinen Revolten anregen.
Aber es tut sich doch auch etwas, gerade für Frauen in der Lebensmitte. Die Wechseljahre kommen endlich raus aus der Tabu-Ecke. Wie erleben sie selbst diese Lebensphase?
Als große Befreiung. Alle reden uns ein, mit den Wechseljahren kämen Verfall und Verlust. Das Gegenteil ist der Fall. Jetzt beginnt die beste Zeit! Ganz nebenbei bemerkt habe ich deswegen auch manchmal Probleme mit manchen Formen der Wechseljahrsaufklärung.
Warum?
Es ist ganz klar eine Unverschämtheit, dass Medizinerinnen und Mediziner im Studium nichts über diese Phase und die Beschwerden, die dazu gehören, lernen, und dass Frauen nicht richtig behandelt werden. Darauf aufmerksam zu machen und das zu verändern, ist überfällig. Aber ich möchte einfach verhindern, dass alle Probleme auf den Hormonstatus zurückgeführt und Frauen wieder pathologisiert werden.
Was genau meinen Sie damit?
Wenn eine Frau einen Mann hat, der zuhause keinen Finger rührt und von dem sie finanziell abhängig ist, wenn ihre Teenager-Kinder sie wie eine Putzfrau behandeln und sie im Job gedisst wird, weil alle denken, sie sei jetzt zu alt, dann ist sie wahrscheinlich am Boden – aber das hat nichts mit den Hormonen zu tun. Frauen ertragen viel zu viel und so zu tun, als sei der Hormonmangel ihr einziges Problem und den könne man schließlich ausgleichen, freut nur die Pharmaindustrie. Ich glaube, wenn Frauen endlich 50 Prozent der Ressourcen, 50 Prozent der Macht und 50 Prozent des Einflusses hätten, würden Wechseljahrsbeschwerden zwar nicht verschwinden, aber sehr viel weniger werden. Das gilt im globalen Zusammenhang, aber auch im Privaten.