Soziologin über Beziehungen & Intimität: Frau Newerla, vereinsamen wir, wenn wir so weitermachen?

Viele Liebesbeziehungen halten nicht für immer, Ehepaare lassen sich scheiden ... und die Anzahl der Einpersonenhaushalte nimmt Jahr für Jahr zu. Dabei braucht der Mensch Nähe und Intimität zum Überleben. Es ist ein Zustand, den die Soziologin Dr. Andrea Newerla als Intimitätskrise beschreibt. Im Interview mit Brigitte gibt sie Lösungsvorschläge: Unter anderem müssten Beziehungen vielfältiger gedacht werden. 

Mär 19, 2025 - 12:15
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Soziologin über Beziehungen & Intimität: Frau Newerla, vereinsamen wir, wenn wir so weitermachen?

Viele Liebesbeziehungen halten nicht für immer, Ehepaare lassen sich scheiden ... und die Anzahl der Einpersonenhaushalte nimmt Jahr für Jahr zu. Dabei braucht der Mensch Nähe und Intimität zum Überleben. Es ist ein Zustand, den die Soziologin Dr. Andrea Newerla als Intimitätskrise beschreibt. Im Interview mit Brigitte gibt sie Lösungsvorschläge: Unter anderem müssten Beziehungen vielfältiger gedacht werden. 

Brigitte: Ein Blick in die Dating-Apps zeigt, viele Menschen wollen sich anscheinend nicht mehr binden, sie "schauen mal, was wird". Ist Monogamie out?

Dr. Andrea Newerla: Nein, Monogamie ist nicht out. Dating-Apps zeigen zwar alternative Beziehungsmodelle, aber die romantische, monogame Liebesbeziehung bleibt die verbreitetste Form von Partnerschaft – ob in der Ehe oder außerhalb. Online-Dating macht die Suche nach neuen Beziehungsformen eher sichtbar. Manche Menschen haben beim Daten klare Vorstellungen: Sie suchen eine romantische, monogame Beziehung und schreiben das in ihre Profile. Andere sind unsicher und möchten sich orientieren oder ausprobieren. Es gibt auch Menschen, die bewusst keine Bindung suchen. Insgesamt wollen viele herausfinden, was zu ihnen passt. In einer Zeit voller Möglichkeiten ist das nicht immer einfach. Manchmal müssen Menschen verschiedene Konstellationen ausprobieren, um herauszufinden, ob etwa eine Freundschaft Plus, eine offene Beziehung oder auch Polyamorie für sie das richtige ist.

Die junge Generation wird oft als beziehungsunfähig beschrieben. Stimmen Sie dem zu?

Die Frage ist ja von welcher Form von Beziehung sprechen wir eigentlich, wenn wir sagen, Menschen sind nicht beziehungsfähig. Meint das eigentlich auch im Umkehrschluss, dass sie nicht fähig sind, Freundschaftsbeziehungen zu führen, die ja auch Beziehungen sind?

Wir sprechen immer von der romantischen Beziehung. Da habe ich mich jetzt selbst ins Fettnäpfchen manövriert.

Ja. Dieser Blick ist normativ geprägt. Wir differenzieren gar nicht, was für Formen von Beziehungen es gibt. Es wird einfach davon ausgegangen, wenn Menschen nicht bereit sind, in eine monogame, romantische Liebesbeziehung einzutreten, sind sie bindungsunfähig. Das halte ich für eine problematische Perspektive, weil sie nicht genauer schaut, ob Menschen sich auf andere Weise binden – etwa in Freundschaften oder Wahlfamilien. Manche entscheiden sich bewusst gegen romantische Beziehungen aufgrund negativer Erfahrungen oder weil sie andere Formen des Zusammenlebens bevorzugen. Wichtig ist, nicht vorschnell zu urteilen und anzuerkennen, dass Bindungsfähigkeit sich auf viele Beziehungstypen erstrecken kann.

Buch-Cover: Das Ende des Romantikdiktats
"Das Ende des Romantikdiktats: Warum wir Nähe, Beziehungen und Liebeneu denken sollten" ist 2023 im Kösel-Verlag erschienen, 20 Euro.

Ist das dann das "Romantikdiktat"?

Genau. Das "Romantikdiktat" beschreibt die gesellschaftliche Norm, dass romantische Beziehungen als erstrebenswert und zentral gelten. Diese Vorstellung wird durch Märchen, Filme und die Medien verstärkt und prägt unser Denken und Handeln. Andere Beziehungsformen wie Freundschaften werden oft nicht ausreichend gewürdigt. Es gibt kaum rechtliche Absicherung für alternative Gemeinschaftsmodelle wie Wahlfamilien, Wohngemeinschaften oder verbindliche Freundschaften – ein Problem, das durch fehlende Strukturen verstärkt wird.

Es gibt gar keine andere Markierung deines Daseins, entweder bist du in einer romantischen Beziehung oder du bist allein.

Wie können wir uns von diesem Ideal und den gesellschaftlichen Erwartungen lösen und bestenfalls sogar authentischere Beziehungen aufbauen?

Es gibt mehrere Ebenen: Erstens sollten Medien vielfältigere Geschichten erzählen und stereotype Beziehungsmodelle hinterfragen, statt sie immer wieder nur zu reproduzieren. Der Diskurs könnte hier sehr viel diverser sein. Zweitens braucht es gesellschaftliche Strukturen, die alternative Gemeinschaftsformen fördern. Im Grundgesetz steht, Ehe und Kleinfamilie und Familie sind im Besonderen zu schützen, alle anderen Formen von Vergemeinschaftung haben es umso schwerer. Es bräuchte etwa rechtliche Absicherung für Wahlfamilien oder Freundschaften. Drittens können wir unsere Sprache reflektieren und darauf achten, andere Beziehungsformen abseits der romantischen Liebesbeziehung wertzuschätzen, statt abzuwerten. Single-Shaming ist ja leider immer noch ein Ding.

Viele Menschen sind schon mit einer Beziehung überfordert – wie soll das mit mehreren funktionieren?

(Mehrere) Beziehungen erfordern viel Arbeit und klare Kommunikation. Wichtig ist es, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und Grenzen zu respektieren – sowohl die eigenen als auch die der anderen Beteiligten. Beziehungsarbeit wird in unserer Gesellschaft jedoch wenig bis gar nicht gelehrt; weswegen wir oft unreflektiert vorgegebenen Mustern folgen. Traditionell wird die Kleinfamilie oder das monogame Paar als Ideal angesehen, mehrere Beziehungen zu gestalten, wie es früher in Großfamilien üblich war, passt nicht mehr in unsere hektische Zeit. Ein schwer zu lösendes Dilemma. Daher ist es umso wichtiger, die eigenen Kapazitäten und die Bereitschaft zur Aushandlung zu überdenken.

Im Buch schreiben Sie über eine "Intimitätskrise". Was meinen Sie damit?

Intimität wird oft mit Sexualität gleichgesetzt, dabei umfasst sie viel mehr – etwa emotionale Nähe in Freundschaften oder Wahlfamilien. Wir können uns anderen Menschen auf verschiedenen Ebenen nah fühlen, eben nicht nur sexuell. Unsere Gesellschaft fokussiert sich jedoch stark auf romantische Beziehungen als Quelle von Intimität und wertet andere Formen ab. Das führt dazu, dass Menschen ihre Nähebedürfnisse neu definieren müssen – ein Prozess, der sehr herausfordernd sein kann.
 

Dr. Andrea Newerla
Dr. Andrea Newerla ist promovierte Soziologin und forscht zu Intimitäten und Beziehungsmustern jenseits heteronormativer Standards.
© Sven Serkis


Interessant. Ist das auch ein Grund dafür, warum monogame Liebesbeziehungen oft ausschließlich auf sexueller Ebene geöffnet werden?

Das liegt an der Körperzentriertheit unserer Gesellschaft und daran, dass Dating-Apps diese Tendenz verstärkt haben. Medien reproduzieren dann eher diese Diskussionen, was zu einer stärkeren Fokussierung auf sexuelle Aspekte führt. Es gibt jedoch viele andere Formen, in denen Beziehungen geöffnet werden können, wie finanzielle oder wohnliche Arrangements mit anderen Personen. Diese Formen der Öffnung sind oft weniger sichtbar, aber sie existieren und können ebenfalls wertvoll sein.