"Sigma-Mann": Wie du das toxische Männerbild schnell erkennst
Der "Sigma-Mann": unabhängig, selbstbewusst – aber auch umstritten. Was steckt hinter dem Trendbegriff und warum wird er als toxisch kritisiert?

Der "Sigma-Mann": unabhängig, selbstbewusst – aber auch umstritten. Was steckt hinter dem Trendbegriff und warum wird er als toxisch kritisiert?
Der Alpha-Mann sah sich lange als Hauptgewinn für eine Frau: Ein attraktiver, großer Typ, der die Aufmerksamkeit von Frau und Mann wahrlich hinterhergeworfen bekommt. In den letzten Jahren hat sich jedoch ein Konkurrent aufgetan: der "Sigma-Mann". Ein einsamer Wolf, der sehr ruhig und unabhängig ist – so die Selbstzuschreibung. Betrachtet man den selbsternannten "Sigma" allerdings näher, kommt ein weiteres toxisches Männerbild zum Vorschein. Hier erfährst du mehr über seine angeblichen Eigenschaften und die Herkunft des Trendbegriffs.
Was ist ein "Sigma-Mann"?
Der Begriff "Sigma-Mann" beschreibt ein Bild von Männlichkeit, das in den sozialen Medien, besonders auf TikTok kursiert. Ihm wird Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein nachgesagt, sowie der Verzicht auf gesellschaftliche Anerkennung.
Woher kommt der Begriff "Sigma-Mann"?
Der Blogger Vox Day hat den Begriff des "Sigma Male" 2010 ins Leben gerufen. Sein echter Name ist Theodore Robert Beale, ein US-amerikanischer Autor mit rechten, frauenfeindlichen und rassistischen Ideologien. Mit insgesamt sieben Männertypen stellte er eine "socio-sexual hierarchy" auf, an dessen Spitze der Alpha Male mit seiner vollen Maskulinität thront. Darunter reihen sich sogenannte Betas, Deltas, Gammas, Lambdas und Omegas, angeordnet nach ihrer gesellschaftlichen Rolle und Fähigkeit. Die "Sigmas" befinden sich außerhalb der soziosexuellen Pyramide nach Beale, da sie das "soziale Spiel nicht mitspielen und es trotzdem schaffen, darin zu gewinnen".
Welche Eigenschaften zeichnen einen "Sigma" aus?
Der "Sigma Male" sei ein seltenes Exemplar und erfülle bestimmte Eigenschaften. Er wird auch als das ungewöhnlichste Männlichkeitsbild gehandelt. Bist du an einen selbsternannten "Sigma-Mann" geraten? Sind folgende Merkmale erfüllt, könntest du es mit dem Persönlichkeitstyp eines "Sigmas" zu tun haben:
- Einzelgänger
Gerne auch als "lone wolf" bezeichnet, macht er gerne sein eigenes Ding und hält sich lieber im Hintergrund. Teilweise hängt ihm das Image eines Außenseiters nach. Aber nicht beirren lassen: Er ist zwar gerne Einzelkämpfer, kommt in der Gesellschaft aber gut an und ist beliebt. - Unabhängigkeit
Ein "Sigma Male" liebt es unabhängig zu sein und wahrt seine Freiheit. Das beinhaltet auch das Freisein von Erwartungen. Auf soziale Bestätigung oder Erfolg ist er nicht angewiesen, er lehnt dies sogar ab. Denn von sozialen Hierarchien hält der "Sigma" nichts. Er hätte jedoch das Potential, dem extrovertierten Alpha Mann die Spitze strittig zu machen. - Ruhig und introvertiert
Er sagt nicht viel und hält sich in Gruppen zurück; lieber hört dieser Persönlichkeitstyp zu. Obwohl weniger extrovertiert, ist er trotzdem nicht schüchtern. Im Gegenteil, der "Sigma Mann" ist sehr selbstbewusst. Aber eben auch selbstgenügsam. Durch seine ruhige Art wirkt er mysteriös. Immer wieder wird er auch als der introvertierte Alpha bezeichnet. - Intelligent
Immer einen Schritt weiter als die anderen: Dem Rest der Gesellschaft sei er mit seiner Intelligenz voraus. Der Einzelgänger denkt strategisch und fühlt sich dadurch überlegen. - Eigenständigkeit
Der "Sigma-Male" hat große Ziele und verfolgt diese auch mit viel Elan. Da er gerne unabhängig ist und von sozialen Hierarchien nicht viel hält, macht er sich beruflich lieber selbstständig. Auch privat verlasse er sich am liebsten nur auf sich selbst und seine Fähigkeiten.
Wie verhält sich der "Sigma-Mann" in Beziehungen?
Vox Day schreibt in einem Blogbeitrag: "Sigmas mögen Frauen, tendieren aber dazu sie zu verachten." Das verspricht erst mal keine harmonische und gleichberechtigte Partnerschaft. Auf anderen Blogs zu "Sigma Männern" steht wiederum, dass sie eine respektvolle Beziehung suchen, in der beide Menschen ihre Freiheit für die persönliche Entwicklung haben. Auf den ersten Blick erscheint das normal, auch ehrliche Kommunikation und emotionale Verbindung werden erwähnt. Das widerspricht aber der Darstellung auf TikTok und von Vox Day.
Demnach sollen Frauen nämlich im besten Fall ignoriert werden, da sie als nicht kompatibel mit den Charaktereigenschaften des "Sigmas" gelten. Ein Sigma geht keine Kompromisse ein, insbesondere nicht, wenn es um seine Freiheit und Unabhängigkeit geht. Der nächste Schritt des Partners? Unvorhersehbar! Seine eigenen Ziele haben oberste Priorität und er könnte ohne Probleme jeden Tag weg sein. Als einsamer Wolf sei er auf keine anderen Menschen angewiesen. Manch einer empfindet das als aufregend und faszinierend, andere als frustrierend und ungesund – was einer der Gründe dafür ist, warum der Begriff als toxisches Männerbild kritisiert wird.
Warum "Sigmas" ein toxisches Bild von Männlichkeit vermitteln
In vielen Videos, die von selbsternannten "Sigmas" in sozialen Netzwerken geteilt werden, werden Frauen als berechnende Wesen dargestellt. Die Szenen zeigen oft, wie "Sigma Männer" Frauen abweisen und sich dafür feiern. Von der Community werden sie dafür gelobt, die Grenze zwischen "unabhängigem Sigma" und frauenverachtendem Gedankengut ist schmal.
Denn: Der "Sigma-Male" ist in der Manosphere verortet. Bei der sogenannten Manosphere handelt es sich um eine Online-Community, die besonders in Foren und auf Blogs stattfindet. Der Name verrät es schon: auf den Plattformen sind besonders Männer vertreten. Sie teilen dort frauenfeindliche und antifeministische Inhalte, dazu gehören auch die Incel-Bewegung, Männerrechtler und Pick-Up-Artists.
Die gemeinsame Grundlage der Manosphere ist, dass Männer sich als natürlich überlegen ansehen und die Macht beibehalten wollen. Frauen nehmen heute mehr Platz ein als früher und fordern Gleichberechtigung, das sorgt in der Manosphere für Angst. Es scheint, als wollen sie lieber an traditionellen Geschlechterrollen und Normen festhalten. Die Einstellungen innerhalb der Manosphere-Community sind oft frauenverachtend und können vermutlich zu sexueller Belästigung oder geschlechtsspezifischer Gewalt führen.
Lesetipp: Wie Incels online Frauenhass verbreiten
Die fiktiven Vorbilder des misogynen TikTok-Trends
Neben dem fragwürdigen Frauenbild der Manosphere sind auch die fiktiven Vorbilder der "Sigma-Männer" kritisch zu betrachten: Allen voran Patrick Bateman, die mordende Hauptfigur aus "American Psycho", einem Roman von Bret Easton Ellis und der gleichnamigen Verfilmung aus dem Jahr 2000. Bateman ist 27 Jahre alt und arbeitet mit Erfolg an der Wall Street. Er ist reich, trainiert, modebewusst – und hasst Frauen in jeglicher Beziehung. Sein Wesen ist von narzisstischen und sadistischen Zügen geprägt, die sich auch in seinen Morden äußern.
Sucht man auf TikTok nach "Sigma Males", erscheinen viele Videos mit Ratschlägen, Erklärungen der Sigma-Charakterzüge und über ihre Lebensrealität. Dazwischen tauchen auch einige "Fanvideos" auf, mit Filmausschnitten der fiktiven Vorbilder aus der Popkultur:
Christian Bale als Patrick Bateman, Keanu Reeves als John Wick oder Cilian Murphy als Tommy Shelby. Auch hier wird schnell klar, dass ein toxisches Männerbild vermittelt wird. Besonders Patrick Bateman wird als maskuliner Charaktere oft in Anzug und seinem angestrebten Perfektionismus dargestellt. Die "Regeln für Sigma-Males"sind bei näherer Betrachtung manipulatives und rücksichtsloses Verhalten.
Dass der misogyne Männertyp des sogenannten "Sigma Males" für Frauen und den Feminismus negative Wirkung hat, liegt auf der Hand. Auf den ersten Blick nicht offensichtlich: Auch für Männer sind die vermeintlichen Normen dieser Männlichkeitsbilder und die dahintersteckenden Ideologien eine Bewegung in eine ungesunde Richtung. Der Begriff "Sigma Mann" ist ebenso wie die Vorstellung vom "Alpha Mann" eine fragwürdige Hierarchie für Männer, in der hypermaskuline Charaktereigenschaften und eine misogyne Einzelkämpfer-Mentalität glorifiziert werden. Wenn der Idealtyp eines Mannes komplette Unabhängigkeit und emotionale Kälte verlangt, setzt das Jungen und Männer enorm unter Druck und isoliert sie. Toxische Maskulinität ist also nicht nur für Frauen giftig, sondern auch für Männer.
Quellen:
- The Guardian: The sad, stupid rise of sigma male: how toxic masculinity took over social media (zuletzt aufgerufen am 09.04.2025)
- Amadeu Antonio Stiftung: Frauenhassende Online-Subkulturen: Ideologien – Strategien – Handlungsempfehlungen (zuletzt aufgerufen am 09.04.2025)
- Jugend und Medien: "Im Prozess des Mann-Werdens lassen wir unsere Jungen ziemlich allein" (zuletzt aufgerufen am 09.04.2025)
- Canadian Museum for Human Rights: Online misogyny: the "manosphere" (zuletzt aufgerufen am 09.04.2025)
- Übermedien: Wer ist dieser hypermaskuline Frauenhasser mit Gott-Komplex? (zuletzt aufgerufen am 10.04.2025)