Koalitionspläne: Mit Merz mehr Merkel als mit Merkel

Beinahe hätte Friedrich Merz eine moderne Regierung angeführt. Inzwischen wird eine realitätsferne Retro-Regierung immer wahrscheinlicher

Mär 10, 2025 - 19:05
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Koalitionspläne: Mit Merz mehr Merkel als mit Merkel

Beinahe hätte Friedrich Merz eine moderne Regierung angeführt. Inzwischen wird eine realitätsferne Retro-Regierung immer wahrscheinlicher

Was war das doch  – bei all dem Schlamassel, in dem Deutschland steckt – für ein Hoffnungsmoment in der letzten Woche: Der Doppelwumms, den die Regierungspartner in spe sich da ausgedacht hatten: 500 Milliarden Euro für Infrastruktur, dazu Geld für die nötige Aufrüstung, ungebremst durch die Schuldenbremse. Für ein paar Tage sah es aus, als bekäme Deutschland eine Regierung auf der Höhe der Zeit. Als habe die „demokratische Mitte“ von der jetzt immer gesprochen wird, in dem Augenblick, in dem sie am meisten herausgefordert ist, einen Dreh gefunden, dem globalen Angriff auf alles Mittige etwas entgegenzusetzen: Das Land reparieren, in Europa wieder vorne mitspielen und, wenn die etwas mutige Rechnung aus zwei schuldenfinanzierten Aufholprogrammen aufgeht, ein kleines Wirtschaftswunder schaffen, das den Verbindlichkeiten ihren Schrecken nehmen kann. 

Die Verbündeten in Europa atmeten erleichtert auf, dass Deutschland wieder eine Führungsrolle übernähme, Analysten und Finanzmärkte reagierten geradezu euphorisch, Verteidiger der freien Welt schöpften Zuversicht und Karikaturisten und Titelgrafiker, die monatelang nur schlappe, müde Bundesadler gemalt hatten, übten sich vorsichtig daran, dem Wappentier wieder ein paar Muskeln zu zeichnen.

Und dann war die Illusion auch schon wieder vorbei. Da stellten sich nämlich die künftig starken Figuren Deutschlands, Bundeskanzler (wenn es so kommt) Friedrich Merz voran, am Wochenende hin und zeigten das erste Ergebnis der Verhandlungen von CDU, CSU und SPD über die künftige Regierung vor. Und da klang das, was deren Programm werden soll, als wäre nichts geschehen in den letzten Jahren und Tagen. Als hätten wir 2019, die Steuereinnahmen sprudelten, die Wirtschaft wüchse, die Globalisierung wecke noch Hoffnung und die Weltpolitik verliefe in halbwegs ruhigen Bahnen – so traten sie auf. 

So nannten die Verhandler der geplanten schwarzroten Koalition, die „groß“ zu nennen in keiner Hinsicht mehr angemessen ist, ihre Schwerpunkte: mehr Pendlerpauschale, neue Subventionen für Agrardiesel, Steuersubventionen für Restaurants und deren Besucher, Mindestlohn hoch. 64 Mrd. Euro im Jahr kostet dieses Füllhorn der Sorglosigkeit laut Berechnungen von Experten des Deutschen Instituts von Wirtschaftsforschung im Jahr. Das wohlgemerkt zusätzlich zu dem 500-Milliarden-Topf für Infrastruktur, der ja auf zehn Jahre angelegt ist. Man muss sich die Augen reiben, denn im Vergleich ist der Infrastruktur-Sondervermögen-Topf – gegenüber den schwarzroten Wohltaten vom Wochenende – fast schon ein Töpfchen.

Und zum Hohn der ganzen Veranstaltung setzte sich dann Merz Stunden später in ein Aufnahmestudio des Deutschlandfunks und erklärte fröhlich zu alldem: „Wir öffnen jetzt nicht die Schleusen.“ Was tut ihr denn bitte sonst? Hätte Merz wenigstens eingeräumt, dass und warum er die Schleusen öffnet und dass und warum er im Wahlkampf noch das genaue Gegenteil gesagt hat, er hätte seinen Ruf als vernunftgeleitete Führungsfigur vielleicht noch retten können.

Merz betreibt Klientelpolitik

Man muss das natürlich erklären: Warum das Schleusenöffnen des Doppelwumms angemessen und historisch ist, aber das Schleusenöffnen vom Wochenende geschichtsvergessen und kleinkariert. Es ist wichtig, das auseinanderzuhalten: Die Infrastrukturmilliarden und das Rüstungsgeld verweisen auf die Zukunft. Sie sind ein Signal dafür, dass das Land eine Zukunft hat und haben will. Deshalb weckten sie so viel Euphorie. Ja, auch das sind Schulden, aber im besten Fall entsteht damit ein lebenswertes, sicheres Land. Ein Land, das – falls die Grünen in den anstehenden Gesprächen es noch reinverhandeln – auch die Klimakrise ernst nimmt. Das möglicherweise sogar seiner Wirtschaft wieder aufhilft, sodass es kaum schwer wird, das Geld den Anleihezeichnern zurückzuzahlen. Das Vertrauen darin haben sie bereits gefasst, wie die Reaktion der Finanzmärkte zeigt. Es ist ein bisschen realistische Utopie: Kein Ausweg aus der ramponierten Weltlage, aber ein Weg, mit ihr halbwegs unerschüttert umzugehen. 

Die Subventionen aus dem Sondierungspapier dagegen: rückwärtsgewandte Klientelpolitik. Jede Partei bedient die, die sie immer bedienen wollte. Restaurants sind schön und wichtig, aber anders als das Essen aus dem Supermarkt nicht wesentlich zur Ernährung der Bevölkerung – warum sollte es gerade jetzt wichtig sein, sie genauso zu subventionieren? Manche Bauern haben es schwer, ja. Aber die Ampelkoalition hatte ihre Kürzungen beim Traktor-Treibstoff bereits abgemildert und viele Bauern haben es – auch im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbranchen – gar nicht mal so schwer. Die Pendlerpauschale, die Mütterrente, das hilft vielen Leuten, aber es gibt auch den erbittertsten Schuldenbremsen-Verteidigern recht, die immer davor warnten, die Boomer würden es sich auf Kosten künftiger Generationen bequem machen. 

Es geht jetzt gar nicht darum, diesen in allem recht zu geben und zu verlangen, dass der Bund alle Ausgaben radikal zusammenstreicht – dann wäre wohl der Effekt aus dem Doppelwumms auch schon wieder fort. Aber es sollte schon darum gehen – ganz wie es Merz im Wahlkampf angekündigt hat – Ausgaben zu überprüfen, überflüssige oder sich einander aufhebende Subventionen abzuschaffen. Wenn man auf der einen Seite den Doppelwumms hat, dann ist auf der anderen Seite, auf der des Haushaltsalltags, eine gewisse Strenge geboten. Schon allein, um der Welt und den Finanzmärkten zu zeigen, dass jetzt nicht auf einmal alles egal ist. Diesen Eindruck erweckt die neue Merz-Partnerschaft aber.

Kredit schon vor Regierungsbildung verspielt

Es ist traurig, dabei zuzusehen, wie die Regierenden in spe ihre ganze Demut, ihre Lauterkeit, ihre Verantwortung schon ganz zu Anfang über den Haufen werfen. Es ist deprimierend, diese konzeptionelle Bankrotterklärung zu lesen. Ist sie doch auch der Beweis dafür, dass die Unionsparteien die Oppositionszeit nicht genutzt haben, um neuen Schwung, neue Ideen und den der Lage angemessenen Ernst zu finden. Sie sind ebenso der Beweis dafür, dass die völlige Bewegungslosigkeit der SPD in der Ampelregierung nicht daran lag, dass die Partei von ihren Partnern ausgebremst wurde. Sondern daran, dass das zu ihrem Wesen gehört.

Das einzige, worauf man noch hoffen kann, ist die Zeit. Dass die Koalition noch etwas braucht, bis sie ihr tristes Programm in einen Koalitionsvertrag gießt. Dass die Wähler und die Mitglieder der jeweiligen Parteibasen diese Zeit nutzen, um ihren Vorleuten klarzumachen, dass es so nicht geht. Dass eine Regierung, die auf der Höhe der Zeit sein will, den Geist des Doppelwumms in sich tragen, das traurige Gespenst des Sondierungspapiers aber fortjagen muss.

Interessant dabei ist vor allem Friedrich Merz. Der Mann, der seine ganze politische Karriere darauf aufgebaut hat, Angela Merkel ihre Ambitionslosigkeit vorzuwerfen, ihr Verständnis von Politik als Moderation unterschiedlicher Interessen, ihren Kuhhandel mit roten und weißblauen Koalitionspartnern – dieser Mann erscheint nun schon vor seinem ersten Tag als Kanzler merkeliger denn Merkel.