Geht das nur mir so?: Geh niemals auf ein Klassentreffen …

… da sind nur alte Leute! Auch Nathalie Klüver war gefühlt noch in ihren Zwanzigern – bis die Feier zum Abi-Jubiläum ihr die Augen öffnete.

Mai 11, 2025 - 12:00
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Geht das nur mir so?: Geh niemals auf ein Klassentreffen …

… da sind nur alte Leute! Auch Nathalie Klüver war gefühlt noch in ihren Zwanzigern – bis die Feier zum Abi-Jubiläum ihr die Augen öffnete.

Die Schultür sieht genauso aus wie früher: Wie oft bin ich früher durch diese Tür rein- und rausgegangen, morgens um viertel vor acht, meistens viel zu müde und oft auch auf den letzten Drücker. Fast schon spüre ich das Gewicht des Schulrucksacks mit den ganzen Büchern auf meinem Rücken, und ein Blick auf meine Füße zeigt mir, dass ich exakt solche Dr.-Martens-Stiefel anhabe wie vor 25 Jahren. Die Zeit scheint stillgestanden zu sein in all den Jahren, seit ich durchs Schultor gestürmt bin, mein Abi-Zeugnis in den Händen, das nie wieder so erlebte Gefühl von Freiheit im Herzen.

"Na, auch Lust auf die Schulführung gehabt?" Eine Frau steht vor mir, eine Reihe von Lachfalten um die Augen, graue Strähnen, konservativer Mantel. Eine Lehrerin von früher? Ich suche nach dem Namen, da kommt ein Typ um die Ecke, umarmt die Frau neben mir und mich gleich dazu, und erst als er lässig "Ist das lange her!" sagt, wird mir klar: Dieser Typ, der so aussieht wie sein Vater früher aussah, ist nicht sein Vater, sondern mein ehemaliger Sitznachbar aus der 11. Und die Frau neben mir mit den Lachfalten ist auch keine Lehrerin, sondern war mit mir im Chemie-Grundkurs.

Flashbacks ohne Ende

Immer mehr fahren mit ihren Autos vor, der, der früher einen klapprigen Golf hatte, stellt seinen fetten SUV auf den Lehrerparkplatz und grüßt fröhlich in die Runde. Neben mir erzählt der, der früher bei jeder Party Musik gemacht hat, von seinem Golf-Handicap, und ich versuche, die Gesichter mit meinen Erinnerungen in Einklang zu bringen. Der mit den unheimlich großen Geheimratsecken, war das der Lockenkopf von früher? Um mich rum Menschen mit Fältchen, grauen Haaren, einige haben Tränensäcke, andere einen schmalen Mund, aber so langsam erkenne ich sie wieder und stelle fest: Es sind alles Menschen Mitte 40. Und alle haben hier vor 25 Jahren Abitur gemacht.

Der neue Schulleiter lässt uns in die Schule hinein, auch er Mitte 40, könnte glatt einer von uns sein. "Weißt du noch, früher, als wir solche Angst davor hatten, zum Direx gerufen zu werden?", fragt mich der, der so aussieht wie sein Vater. Flashbacks ohne Ende: Wir schlappen über denselben alten Teppich wie früher, an den Wänden die gleichen Bilder, dieselben Overheadprojektoren. "Die Palmen in den Töpfen sehen auch noch aus wie früher", meint einer im Vorbeigehen.

Ich fühle mich wie 19, verspüre den Drang, mich auf den Stufen in der Pausenhalle niederzulassen, um zu checken, ob ich nicht doch noch Mathe-Hausaufgaben von jemandem abschreiben muss. Es kann doch nicht 25 Jahre her sein, dass ich genau hier versuchte, bei Integralrechnung durchzusteigen – ich meine, ich bin doch eigentlich selbst kaum älter als 25!

Immer noch die Alte 

Dass Mathe nicht eins meiner besten Fächer war, zeigt sich auch daran, dass ich bei dieser simplen Rechenaufgabe scheitere: Wer mit 19 sein Abitur macht, ist beim 25-jährigen Abitreffen folglich 44 und kann gar nicht mehr 25 sein. Wie bringe ich das mit meinem Gefühl in Einklang, doch eigentlich kaum gealtert zu sein?

Als ich mir auf dem wie immer riechenden Mädchenklo die Hände wasche, fällt mein Blick in den Spiegel, in dem ich früher kritisch nach Pickeln suchte. Heute suche ich nach Fältchen, nein, ehrlich gesagt, ich muss gar nicht suchen. Da sind sie, um die Augen, auf der Stirn, und im unbarmherzigen Neonlicht stelle ich fest: An mir gingen diese 25 Jahre ebenso wenig spurlos vorbei wie an meinen Mitschülerinnen und Mitschülern. Ich bin immer noch die Alte – aber eben ein Vierteljahrhundert älter. Eine Freundin von damals tritt neben mir ans Waschbecken, und während wir unsere Hände an dem kratzigen Papierhandtuch abtrocknen, sagt sie mir: "Hey, du hast ja auch graue Strähnen, find ich super, dass du sie nicht färbst."