Elektroauto-Marke: Ein Polestar aus Europa – aber mit chinesischer Technik
Der neue Polestar-Chef Michael Lohscheller organisiert deren Neustart. Wegen der Zölle gehört dazu auch die Produktion in Europa, sagt Loscheller im Interview. Aber: China bleibt weiter wichtig

Der neue Polestar-Chef Michael Lohscheller organisiert deren Neustart. Wegen der Zölle gehört dazu auch die Produktion in Europa, sagt Loscheller im Interview. Aber: China bleibt weiter wichtig
Michael Lohscheller versucht den Neustart bei Polestar – und zwar an allen Fronten: Vertrieb, Technik und Produktion der Autos. Alles wird neu, so das Versprechen. Der deutsche Manager, bekannt geworden als Opel-Chef in den Krisenjahren zwischen 2017 und 2021, ist seit Spätherbst Vorstandschef bei der E-Automarke. Polestar entstand als Schwestermarke von Volvo und ist wie die schwedische Traditionsmarke eine Tochter des chinesischen Geely-Konzerns. In drei Jahren, sagt Lohscheller im Interview mit Capital, wolle er Polestar auf mehr als 100.000 Autos bringen und damit den Absatz mehr als verdoppeln. „Das traue ich uns wirklich zu“, sagte er. „Natürlich brauchen wir ein gewisses Minimalvolumen und das ist mit Sicherheit sechsstellig“.
Polestar war vom chinesischen Eigner als große Wachstumsstory im Tesla-Fahrwasser 2022 an der US-Börse Nasdaq platziert worden. Inzwischen weht der Firma aber – und nicht nur an der Börse – heftiger Gegenwind entgegen. So stürzte die Absatzzahl im abgelaufenen Jahr unter 45.000 - und das, obwohl die Marke in dem Jahr gleich zwei vielversprechende neue Autos auf den Markt gebracht hatte. Sinkende Kauflust, E-Autoskepsis im Markt und noch dazu die weltweite Zollpolitik, die eine Marke, die in China produziert, besonders trifft – von alldem will sich Lohscheller nicht beirren lassen, wie er sagt.
Über den schwachen Markt für Batterieautos befindet er: „Er wächst nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Aber er wächst noch – das vergessen wir manchmal“. Auch erwarte er nicht, dass sich die Haltung der potenziellen Kunden in der neuen politischen Situation grundsätzlich gegen E-Autos und Klimaschutz wendet: „Ich glaube nicht, dass Nachhaltigkeit als Thema weg ist“, sagt er. Lohscheller hofft sogar auf Kunden des großen Vorbilds und Konkurrenten Tesla, die sich wegen der politischen Eskapaden des Tesla-Vormanns Elon Musk von der Marke abwenden. „Wie viele Leute uns sagen; jetzt ist mal Schluss mit Elon Musk“ wundert er sich im Gespräch. „Das birgt ein großes Potenzial für Polestar“
Produktion künftig auch in Europa
Von derzeit drei Modellen des Herstellers werden zwei in China gebaut, in Werken des Mutterkonzerns. Damit sind sie mit den Einfuhrzöllen der EU für chinesische E-Autos belastet. Ein weiteres Auto, der Polestar 3, wird für Europa im US-Werk von Polestar gebaut. Der SUV Polestar 4 wiederum, der aus China kommt, könnte demnächst in Südkorea gebaut werden, deutet Lohscheller an. „Der Polestar 4 wird für die USA in Korea gebaut und kann auch für Europa in Korea gebaut werden“, sagt der CEO. „Das ist in den Planungen inkludiert.“
In Zukunft aber will Lohscheller die technische Struktur der Polestar-Fahrzeuge grundsätzlich ändern und diese dann auch in Europa bauen - womöglich in Volvo-Fabriken. Große Hoffnungen verknüpft er mit einem Kompakt-SUV, das er für das Jahr 2027 angekündigt hat und das als erstes Polestar-Modell Made in Europe sein soll. Mit dem Start dieses Autos sollten alle Polestars sukzessive auf einer einheitlichen technischen Plattform aufgebaut werden, um Entwicklungs- und Produktionskosten zu senken, sagt Lohscheller. „Komplexität treibt Kosten und Komplexität treibt Unsicherheit“, führt Lohscheller aus. „Und deshalb braucht man eine einheitliche Plattformstrategie.“ Als Plattform bezeichnet man im Autobau die gesamte technische Struktur eines Fahrzeugs mit Fahrwerk, Antriebsstrang, Batterie und digitaler Steuerung.
Aber natürlich sollen die Pläne auch den europäischen Anstrich von Polestar unterstreichen, den Lohscheller der Marke gern geben möchte - und sie möglichst weit von chinesischen Anbietern wegrücken, die in Europa und anderswo noch auf große Skepsis stoßen. „Polestar ist definitiv eine skandinavische Marke“, sagt der Chef. „Hier ist unser Headquarter, wir denken sehr skandinavisch.“ Trotzdem wird aber die künftige Plattform, wie der CEO eingesteht, weitgehend aus Komponenten bestehen, die vom chinesischen Mutterkonzern übernommen werden. „Ganz klar, wir bedienen uns im Grunde, wenn Sie so wollen, aus dem Konzernregal“, sagt er. Darin will er aber keinen Widerspruch zu seinen Skandinavisierungsmühen sehen. „Zeigen Sie mir einen VW, wo nicht ein Teil aus China eingebaut ist“, ruft der deutsche Manager. „Da sind wir in guter Gesellschaft.“ Lohscheller hat selbst einst lange im Volkswagen-Konzern gearbeitet.
Strenger Anti-China-Kurs belastet Polestar
Ein weiteres Problem hat Polestar im für die Marke bedeutenden US-Markt. Die Marke ist fast die einzige chinesischstämmige Automarke, die dort noch ausharrt. Aber die US-Regierung hat – noch unter Joe Biden – strenge Regeln für China-Technik erlassen. Ab 2027 werden keine Fahrzeuge mehr mit Digitalsteuerung aus China zugelassen. „Da werden wir Lösungen finden bis zum Modelljahr 27 auf dem US-Markt, der sehr wichtig für uns ist“, versichert Lohscheller.
Verantwortlich für die Misserfolge von Polestar im vergangenen Jahr ist aus Lohschellers Sicht vor allem der falsch organisierte Vertrieb. „Man ist in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass unsere Autos sich im Grunde von alleine verkaufen, weil sie so toll sind“, sagt Lohscheller. „Das ist natürlich nicht so.“ Er bezieht das auf den Onlineverkauf von Polestar - die Fahrzeuge konnte man, ähnlich wie Teslas, nur digital bestellen. Nun soll es künftig auch – „ein bisschen traditioneller“ – den ganz normalen Verkauf über Autohändler geben, vornehmlich solche von Volvo. Alleine davon erhofft sich Lohscheller deutlich mehr Absatz, ungeachtet des schlaffen Marktumfelds. „Daher bin ich überzeugt, das meiste liegt in unseren Händen, mit mehr Partnern, mit der Attraktivität der wachsenden Modellpalette“, sagt er.
Streitgespräch Spahn Heizungsbauer
Weitere Fehler der Vergangenheit seien gewesen, viele Autos rabattiert an Mietwagenanbieter zu verkaufen. Künftig sollen stattdessen Privatkunden und ausgewählte Flottenanbieter angesprochen werden, so Lohscheller. Für die in diesem Jahr erwarteten Preiskriege im E-Automarkt sieht er sich gerüstet. Zwar verdienten seine Autos Premiumpreise. „Das heißt aber nicht, dass, wenn sich der Markt preislich nach unten bewegt, wir nicht mehr konkurrieren können“, führt er aus. „Das wollen wir schon, aber nicht um jeden Preis“, so der CEO. „Das Volumen soll dennoch wachsen und wir passen uns den Marktgegebenheiten an.“
Mit all diesen Vorhaben will Lohscheller, wie er es ausdrückt „erste Stufen der Gewinnschwelle in diesem Jahr erreichen“. Ab 2027 soll der Barmittelzufluss, also nach Investitionen, positiv sein und Polestar dann nicht mehr auf Geldspritzen aus China angewiesen sein.
Erst dann, glaubt Lohscheller, könnte sich auch die Stimmung an der Börse wieder drehen. „Investoren wollen erst mal sehen, dass ein Geschäftsmodell existiert“, sagt er. „Es sollten nur Versprechungen gemacht werden, die dann auch eingehalten werden“, ergänzt er. „Und das ist jetzt das Erste, was wir umsetzen“. Lohscheller war nach seinem Ausscheiden bei Opel jeweils kurz an der Spitze bei den E-Auto-Startups Vinfast in Vietnam und Nikola in den USA. Bei Polestar aber will er es länger aushalten, versichert er.