De-Extinction: Hybris oder Sensation? US-Firma verkündet die Rückkehr des Schattenwolfs
Seit 10.000 Jahren ist der Schattenwolf ausgestorben. Colossal Biosciences will ihn genetisch von den Toten erweckt haben. Ist eine solche Auferstehung möglich – und sinnvoll?

Seit 10.000 Jahren ist der Schattenwolf ausgestorben. Colossal Biosciences will ihn genetisch von den Toten erweckt haben. Ist eine solche Auferstehung möglich – und sinnvoll?
Die Wölfe sind imposante Erscheinungen. Zotteliges weißes Fell, markante Reißzähne, ein durchdringender Blick aus gelb-grünen Augen. Keine Wesen der Gegenwart, sondern Relikte des Pleistozäns, dafür geschaffen, längst ausgestorbene Riesen zu erlegen. Urzeitliche Kamele, Pferde und Bisons. Riesige, am Boden lebende Faultiere. Die Paläofauna des amerikanischen Kontinents ist längst verschwunden. Doch er ist wieder da: Aenocyon dirus, der Schattenwolf. So verkündet es zumindest die Firma Colossal Biosciences. Ihr Ziel ist, ausgestorbene Arten auferstehen zu lassen. Sie arbeitet an der Wiederkehr von Wollmammuts, Dodos, tasmanischen Beutelwölfen. Doch ihr bisheriges Meisterstück – die erste Art, die lange nach ihrem Verschwinden wieder auf Erden wandelt – ist der Schattenwolf. Drei Tiere präsentierte die Firma jüngst der Weltöffentlichkeit: Die Rüden Remus und Romulus sind inzwischen sechs Monate alt, die Fähe Khaleesi mit zwei Monaten noch beinahe ein Welpe. "Nach über 10.000 Jahren Abwesenheit ist unser Team stolz darauf, dem Wolf seinen rechtmäßigen Platz im Ökosystem zurückzugeben", schreibt Colossal auf der Firmenwebsite.
Hybris? Geschickte Pressearbeit? Oder tatsächlich ein wissenschaftlicher Durchbruch? Um das zu beurteilen, muss man die Schöpfungsgeschichte der drei Wölfe genauer betrachten.
Wer ausgestorbene Arten zurück ins Leben holen möchte, muss tief in die Trickkiste der Gentechnik greifen. Zuerst gilt es, das Erbgut der verlorenen Spezies genau zu analysieren. Wie unterschieden sie sich von ihren lebenden Verwandten? Welche Gene verliehen ihnen charakteristische Eigenschaften? Im Fall der massigen amerikanischen Schattenwölfe fanden Forschende die Antworten im Innern eines 13.000 Jahre alten Zahns und eines 72.000 Jahre alten Schädels. Die Funde enthielten ausreichend viele und lange Bruchstücke genetischen Materials, damit das Team von Colossal das Genom der Spezies rekonstruieren konnte.
© Colossal, Inc. / Cover Images
Anschließend verglichen die Forschenden die rund 19.000 Gene des Schattenwolfs mit denen des heute lebenden Grauen Wolfs, um die wichtigsten Unterschiede zu identifizieren. Denn eine Spezies, von der kein intaktes Erbgut mehr existiert, wird nicht wieder lebendig, indem man ihr gesamtes Genom nachbaut. Vielmehr dient die DNA der engsten Verwandtschaft als Grundlage für gezielte Eingriffe. Für das Wollmammut wäre das beispielsweise der Asiatische Elefant. Genetische Veränderungen sollen den neu erschaffenen Tieren das Aussehen und die Verhaltensweisen ihrer verschwundenen Vorbilder verleihen. "Enge Verwandtschaft" ist dabei ein dehnbarer Begriff: Die Entwicklungslinien von Schattenwolf und Grauem Wolf trennten sich vor rund sechs Millionen Jahren.
Für die Zeugung von Romulus, Remus und Khaleesi nutzte Colossal Zellen Grauer Wölfe als Ausgangsmaterial. Mit der Genschere Crispr nahmen die Forschenden insgesamt 20 Änderungen an 14 Genen vor. Anschließend taten sie, was bereits die Schöpfer des berühmten Klonschafs Dolly vor nahezu drei Jahrzehnten taten: Sie entnahmen die Zellkerne mit dem maßgeschneiderten Erbgut und fügten sie in entkernte Eizellen von Haushunden ein. "Somatischer Zellkerntransfer" ist der Fachbegriff für diese Methode. Die Embryonen, die anschließend in der Petrischale heranwuchsen, wurden Jagdhund-Mischlingen eingesetzt – Hündinnen, die groß und kräftig genug waren, um die stattlichen Welpen auszutragen. Als Leihmütter durchliefen sie eine normale, wenngleich penibel überwachte Schwangerschaft.
Auferstanden für den Artenschutz?
Nicht alle implantierten Embryonen wuchsen und gediehen. Doch drei Hündinnen brachten nach rund 65 Tagen drei offenbar gesunde Welpen zur Welt: zwei Männchen und später ein Weibchen. Die Tiere wachsen seither unter strenger Beobachtung auf – und fortan auch unter den Blicken der virtuellen Öffentlichkeit. Wo sich ihr Freigehege befindet, hält Colossal aus Sicherheitsgründen geheim. Doch nun, da die Firma ihre Wölfe vorgestellt hat, können Interessierte ihr Leben auf Youtube und Instagram verfolgen. Dort hört man die Brüder als Welpen erstmals in schrilles Geheul ausbrechen, sieht, wie sie sich als Jungtiere kebbeln und in Wolfsmanier durchs Gras pirschen.
Das Ganze sei weder PR-Stunt noch Selbstzweck, betont Colossal immer wieder. Die Technologie solle helfen, bedrohte Arten zu schützen. So könne man eingreifen, wenn der Genpool schrumpfender Populationen gefährlich klein wird und sich schädliche Mutationen anhäufen. Oder bedrohten Arten helfen, sich einer Umwelt in rapidem Wandel anzupassen. Und dann ist da die Vision, ganze Ökosysteme in einen vermeintlich ursprünglicheren Zustand zurückzuversetzen.
© Colossal, Inc. / Cover Images
So verkauft es das Unternehmen Colossal, das zuletzt Schlagzeilen damit machte, genetisch veränderten Mäusen zotteliges "Mammutfell" wachsen zu lassen. Viele Genetikerinnen, Evolutionsbiologen und Ökologinnen sehen die Sache ein wenig differenzierter – zumal bislang keine unabhängig geprüfte wissenschaftliche Veröffentlichung zur Rückkehr des Schattenwolfs vorliegt. Denn streng genommen handelt es sich bei Remus, Romulus und Khaleesi nicht um Schattenwölfe. Sie sind keine Vertreter jener Spezies, die vor Zehntausenden Jahren den amerikanischen Kontinent unsicher machte. Vielmehr sind sie Hybride, Mischwesen aus Grauem Wolf und Haushund, die einige Gene von Aenocyon dirus besitzen – eher eine neue Daseinsform als eine uralte, wieder auferstandene Art.
Inwieweit sie ihrem Vorbild ähneln, ist schwer zu sagen: Was wir über Schattenwölfe wissen, ist aus prähistorischen Funden abgeleitet. Sie stammen vor allem aus den natürlichen Asphaltgruben in La Brea bei Los Angeles, in denen eine Vielzahl von Lebewesen starben und über Jahrtausende hinweg konserviert wurden. Die Überreste der Tiere verraten etwas über ihre Anatomie und darüber, welche Beute ihnen zur Verfügung stand. Aber niemand hat je einen Schattenwolf gesehen. Niemand weiß, wie er sich verhielt, wie er jagte, welche Struktur sein Rudel hatte. Auch Remus, Romulus und Khaleesi haben keine Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Und das Ökosystem, auf das sich Schattenwölfe spezialisiert hatten, existiert nicht mehr. Wohin sollen die Heimatlosen zurückkehren?
Auch die künftige Entwicklung der drei Jungtiere wirft Fragen auf. Momentan erscheinen sie kräftig und gesund. Doch welche Langzeitfolgen bringt ihre Entstehungsgeschichte mit sich? Zwar werden Haus- und Nutztiere heute routinemäßig geklont. Doch die so entstandenen Individuen besitzen nach wie vor ein höheres Risiko für Fehlbildungen als natürlich gezeugter Nachwuchs – selbst wenn ihr Erbgut nicht verändert wurde. Der Eingriff ins Genom birgt zusätzliche Risiken. "Es gibt ein Phänomen, das als Pleiotropie bezeichnet wird und bei dem sich ein Gen auf mehr als ein Merkmal auswirkt", sagte Alison van Eenennaam, Professorin für Tierbiotechnologie und -genetik an der University of California, dem "Time Magazine". "Es könnte sein, dass einige Gene, die Colossal für bestimmte Merkmale verändert, Auswirkungen haben, die mit dem Überleben nicht vereinbar sind."
Einig sind sich die meisten Fachleute darin, dass der Schutz lebender Arten Vorrang vor der vermeintlichen Erweckung ausgestorbener Arten haben sollte. Colossal, einer Firma mit einem Marktwert von zehn Milliarden US-Dollar, werfen sie vor, ihren Erfolg überzuverkaufen. "Sicherlich kommen hierbei Fortschritte in der Gentechnologie zum Tragen, und diese könnten für die Erhaltung bestehender Arten von Nutzen sein", sagt Philip Seddon, Professor für Zoologie an der Universität Otago in Neuseeland. "Aber die Rückkehr der Schattenwölfe? Nein. Wir haben genetisch veränderte Wölfe, und vielleicht werden wir eines Tages genetisch veränderte Asiatische Elefanten haben. Aber im Moment ist das Aussterben einer Art wirklich für immer."