Verändertes Immunsystem: Forscher finden Biomarker für Einsamkeit im Blut – und warnen vor den Folgen
Wer einsam ist, leidet an Seele und Körper. Könnte man den Zustand objektiv messen, ließe sich besser gegensteuern. Forschenden scheint genau das gelungen zu sein

Wer einsam ist, leidet an Seele und Körper. Könnte man den Zustand objektiv messen, ließe sich besser gegensteuern. Forschenden scheint genau das gelungen zu sein
Dass Einsamkeit schmerzt und sogar krank machen kann, weiß jeder, der sie selbst schon einmal erfahren hat. Forschende der chinesischen Fudan-Universität und der University of Cambridge haben nun neue Erkenntnisse darüber gewonnen, was im Körper passiert, wenn wir einsam sind. Wie sie in der Fachzeitschrift "nature human behaviour" berichten, haben sie Proteine gefunden, die im Blut von einsamen und sozial isolierten Menschen verstärkt kursieren – eine Art Biomarker der Einsamkeit.
Für ihre Studie analysierten sie die Daten von 42.000 Menschen aus der "UK Biobank". Darin sind Gesundheitsdaten, Blut-, Speichel- und Urinproben sowie Fragebögen von einer halben Million Freiwilligen im Alter zwischen 40 und 69 Jahren gespeichert. Diese wurden jeweils 14 Jahre lang begleitet. Die UK Biobank gilt als eine der wichtigsten Gesundheitsdatenbanken weltweit und wird regelmäßig für konkrete Forschungsfragen herangezogen.
Einsamkeit steht im Zusammenhang mit Entzündungen
Von den ausgewählten Probanden hatten 9,3 Prozent angegeben, sich sozial isoliert zu fühlen und 6,4 Prozent sogar einsam. Die Forschenden verglichen deren Blutproben mit Proben von Menschen, die sich nach eigener Einschätzung nicht einsam fühlten. Faktoren wie Alter, Geschlecht, Ausbildung und Drogenkonsum rechneten sie für die Analyse heraus.
Das Ergebnis: Die Forschenden fanden in den Blutproben erhöhte Mengen von 175 Proteinen, die in Verbindung mit sozialer Isolation stehen, und 26 Proteine in Verbindung mit Einsamkeit. Überraschend war, dass die meisten der gefundenen Proteine auch eine Rolle im Immunsystem spielen, vor allem bei Entzündungen und der Virenbekämpfung.
Die gefundenen Proteine zeigen ein erhöhtes Sterberisiko an
Daher schauten sich die Forschenden als Nächstes an, welche Krankheiten die Betreffenden in den 14 Jahren der Datenerhebung entwickelt hatten. Dabei kam heraus, dass rund die Hälfte der gefundenen Proteine offenbar auch mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und Schlaganfall zusammenhängen. Mehr noch: "Wir fanden heraus, dass etwa 90 Prozent dieser Proteine mit dem Sterberisiko in Verbindung stehen", so Hauptautorin Dr. Chun Shen gegenüber dem "Guardian".
Um auszuschließen, dass eine genetische Veranlagung sowohl die Proteinlevel bestimmt als auch die Einsamkeit und die genannten Krankheiten hervorruft, führten die Forschenden eine komplizierte Rechenoperation namens Mendel'sche Randomisierung durch.
So konnten sie schließlich fünf Proteine eingrenzen, die ihrer Meinung nach sehr wahrscheinlich durch Einsamkeit erhöht werden – und nicht durch andere Faktoren. Diese Proteine haben es in sich: Nicht nur korrellieren sie mit wichtigen Stoffwechsel- und Entzündungsmarkern; sie gehen außerdem mit einer Vergrößerung der Hirnbereiche für Interozeption, emotionale und soziale Prozesse einher.
Einsamkeit erzeugt Stress, und der ist schädlich
Die fünf Proteine, so schlussfolgern die Forschenden, sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Einsamkeit und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Vermutlich löse das Alleinsein Stress aus, der sich wiederum auf das Immunsystem auswirke und Entzündungen hervorrufe. Dass chronischer Stress und Entzündungen auf Dauer das Herz-Kreislauf-System belasten, ist schon länger bekannt. Zudem wurden in früheren Studien bei Menschen, die sich einsam oder isoliert fühlten, ebenfalls höhere Entzündungswerte gemessen.
Die Forschenden schreiben zwar, dass ihre Ergebnisse an einem unabhängigen Datensatz überprüft werden sollten. Sie sind dennoch recht zuversichtlich, eine Art Biomarker für Einsamkeit gefunden zu haben, der zugleich etwas über die Sterblichkeit aussagt. Dies könnte künftig eine wichtige Messgröße für Interventionen und Vorsorgemaßnahmen sein.
Soziale Kontakte – bald auf Rezept erhältlich?
Schließlich sieht man Menschen nicht immer an, ob sie einsam sind, kaum jemand spricht gern darüber, und die wenigsten Ärzte verschreiben Treffen mit Freunden, Familienbesuche oder die Mitgliedschaft in einem Verein – Aktivitäten also, die der Einsamkeit entgegenwirken könnten. Ein messbarer Biomarker könnte womöglich die medizinische Sicht auf das Alleinsein verändern und ein neues Bewusstsein für das Problem schaffen.
"Die Botschaft ist, dass wir anfangen müssen, den Menschen klar zu machen, dass es für ihre psychische Gesundheit und ihr Wohlbefinden, aber auch für ihre körperliche Gesundheit wichtig ist, mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben", sagt Barbara Sahakian, Ko-Autorin der Studie an der Universität Cambridge.
Kritik an der Studie, aber nicht an der Botschaft
Unabhängige Experten, die nicht beteiligt waren, stimmen dem grundsätzlich zu, kritisieren aber, dass die Studie Schwächen habe. "Einsamkeit ist ein hochkomplexes, inneres Vorgehen, das sich nicht mit zwei Fragen erfassen lässt", sagt etwa Andreas Papassotiropoulos, Molekular-Neurowissenschaftler der Universität Basel gegenüber dem SRF. So sei unklar, inwiefern das Gefühl der Einsamkeit die Teilnehmenden tatsächlich belaste. Denn dies wurde nicht abgefragt. Auch sonst sei die Studie nicht geeignet, Kausalitäten zu belegen, sondern nur Zusammenhänge aufzuzeigen, findet Papassotiropoulos.
Dass Einsamkeit ein gesellschaftliches Problem ist, das negative soziale und gesundheitliche Folgen hat, würde indes niemand bestreiten. Wer zurückgezogen lebt, hat oft weniger Anlass, rauszugehen, sich zu bewegen, gesund zu essen und zu genießen, macht weniger Sinneserfahrungen und erhält weniger geistige Stimulation. Es lohnt sich also in jedem Fall, etwas dagegen zu unternehmen, sich öfter mit der Freundin zum Kaffee zu verabreden, in einem Verein anzumelden, ein Haustier anzuschaffen oder den alleinstehenden Großvater zu besuchen. Denn die beste Medizin gegen Einsamkeit ist: Zweisamkeit.