Übersteigerte Ansprüche : So schaffst du es, gelassener zu bleiben
Deine Ansprüche an dich sind so hoch, dass sie dir tagsüber die letzte Gehirnzelle und nachts den Schlaf rauben? Unsere Autorin kennt das – und verrät, was ihr geholfen hat.

Deine Ansprüche an dich sind so hoch, dass sie dir tagsüber die letzte Gehirnzelle und nachts den Schlaf rauben? Unsere Autorin kennt das – und verrät, was ihr geholfen hat.
Mein Perfektionismus raubt mir regelmäßig den Schlaf. Egal, ob es die Präsentation für die Arbeit ist, die ich bis ins kleinste Detail optimiere oder das Fotobuch für den Geburtstag meiner Oma, das ich mitten in der Nacht noch fein säuberlich mit Glitzersteinchen verziere. Am Ende muss es so sein, wie ich es mir zuvor in den Kopf gesetzt hatte, perfekt eben!
Woher kommt der Drang, perfekt zu sein?
Nicht selten hat mein Perfektionismus zu Frust und Enttäuschung geführt. Statt stolz auf ein Ergebnis zu sein, das von außen betrachtet bestimmt gut gewesen ist, verurteilte ich mich dafür, nicht mehr gegeben zu haben. "Was kann ich eigentlich überhaupt?", dachte ich insgeheim. Diese innerliche Resignation blockierte mich dann irgendwann so, dass ich Dinge gar nicht mehr versuchte, weil ich mir schon vorher dachte: "Ach, das wird sowieso nicht so, wie ich mir das vorstelle – und dann bin ich nur enttäuscht." Gesund kann das nicht sein, und wie eine Meta-Studie der Universität of Bath gezeigt hat, führt ein ständiges Streben nach Perfektion auf lange Sicht sogar manchmal zu Burn-out. Kann ich mir vorstellen, Stichwort schlaflose Nächte.
Aber woher kommt das Streben nach Perfektion? Die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, und hohe soziale Erwartungen, legen den Grundstein für einen ungesunden Perfektionismus. Denn von klein auf kriegen viele von uns ein nett gemeintes "Du bist, was du leistest" mit auf den Weg. Hinter dem Gedanken, etwas möglichst perfekt machen zu wollen, kann also das Bedürfnis nach Anerkennung stecken oder sogar die Angst vor Ablehnung. Das bestätigt auch die Psychologin Dr. Christine Altstötter-Gleich von der Universität Koblenz-Landau gegenüber "Sience Notes", die sich seit Jahren mit Perfektionismus beschäftigt.
Auch allgemeine Selbstoptimierungsbestrebungen spielen häufig eine wichtige Rolle. Wir neigen dazu, uns eher Menschen zum Vorbild zu nehmen, die in einer Sache besonders gut sind, die sie perfektioniert haben. In den sozialen Medien wird dieses Perfektionismus-Phänomen auf die Spitze getrieben. Haufenweise Menschen, die nur die glänzendsten Ausschnitte ihres Lebens teilen. Der selbst gestrickte Pulli sieht aus wie ein Designerstück, die Geburtstagstorte wie vom Patissier. All das kann schnell Selbstzweifel bei den Betrachter:innen hervorrufen.
Zwei Arten von Perfektionismus
Das gesellschaftliche Verhältnis zu Perfektionismus ist ambivalent. Auf der einen Seite bewundern wir manchmal die überengagierten "Macher:innen", die freiwillig bis tief in die Nacht schuften, um das perfekte Ergebnis zu erzielen, auf der anderen beneiden wir die Menschen, die mit minimalem Arbeitsaufwand gerade so viel herausholen, dass es reicht, ja vielleicht sogar gut ist.
Perfektionismus muss tatsächlich nicht immer schlecht sein. Laut dem US-amerikanischen Psychologen Don E. Hamachek lässt sich zwischen "normal perfectionism" und "neurotic perfectionism", übersetzt funktionalem und dysfunktionalem Perfektionismus, unterscheiden. Funktionale Perfektionist:innen arbeiten zielstrebig und gewissenhaft an einer Aufgabe, machen sich aber nicht verrückt und verurteilen sich auch nicht, wenn Fehler passieren. Dysfunktionaler Perfektionismus beschreibt das übertriebene und unerfüllbare Streben nach Fehlerfreiheit. Menschen, die davon betroffen sind, machen ihren Selbstwert von ihrer subjektiven Leistung abhängig.
Diese psychologische Unterscheidung hat mir geholfen, meinen Hang zum Perfektionismus anzunehmen, mich aber nicht von ihm leiten zu lassen. Heißt: Ich möchte nicht in die Dysfunktionalität rutschen. Statt mich also von vornherein an einem vermeintlich perfekten Ergebnis festzubeißen, gebe ich erst mal 80 Prozent – und schaue dann, wo ich stehe und inwiefern es sich lohnt, noch weiter ins Detail zu gehen. Das ist gar nicht so leicht, wenn man mit Maximen wie "Gib immer dein Bestes!" großgeworden ist, aber man wächst ja an seinen Aufgaben.