Sucht: Nikotinbeutel als Lifestyleprodukt: Wie gefährlich ist Snus?

Bunte Dosen machen der Zigarette Konkurrenz: Ist Snus, mal fruchtig, mal pfefferminzfrisch, weniger schädlich? Und beeinflusst die Wahl der Sorte die Sucht?

Mär 19, 2025 - 17:37
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Sucht: Nikotinbeutel als Lifestyleprodukt: Wie gefährlich ist Snus?

Bunte Dosen machen der Zigarette Konkurrenz: Ist Snus, mal fruchtig, mal pfefferminzfrisch, weniger schädlich? Und beeinflusst die Wahl der Sorte die Sucht?

Es dauert bloß ein paar Minuten, dann wird einem übel, dann bringt einen der Schwindel aus dem Tritt. Ins Blut gelangt das Nervengift über die Mundschleimhaut, an der Stelle zwischen Oberlippe und Zahnfleisch, wo das kleine weiße Tabakbeutelchen klemmt. Wer kaum bis nie raucht, der erlebt beim ersten "Snusen" häufig einen Nikotinflash, wie ihn keine Zigarette auslösen würde. Wer regelmäßig raucht, dessen Sucht wird für eine Weile gestillt. Der wird ruhiger, konzentrierter. Nach etwa einer halben Stunde lässt die Wirkung des Beutelchens nach. Dann nimmt man es wieder heraus. Wie einen Kaugummi: auf keinen Fall schlucken.

Snus ist Tabak, der meist in kleinen, teebeutelähnlichen Zellulosesäckchen portioniert ist. Lange Zeit knüllten Raucher bei der Arbeit Tabakblätter zu kleinen Kugeln zusammen und klemmten sich diese über die Zähne. Ihre Sucht war so zeitweise gestillt, beide Hände blieben frei. Später mischten die Schweden zermahlenen Tabak mit Wasser und Salz, verpackten das Gemisch und nannten es Snus. 

Snus gibt es in verschiedenen Varianten: in Braun, wie ein Teebeutel mit Tabakfüllung, und – wie hier zu sehen – tabakfrei und weiß
Snus gibt es in verschiedenen Varianten: in Braun, wie ein Teebeutel mit Tabakfüllung, und – wie hier zu sehen – tabakfrei und weiß
© Oleksandr Shatyrov / iStock

In Schweden werden die Beutel inzwischen als entscheidender Faktor für den Rückgang der Raucherquote gehandelt. Nur etwa fünf Prozent der Schwedinnen und Schweden rauchen noch regelmäßig, in Deutschland sind es etwa 20 Prozent. Und obwohl der Verkauf von Snus hierzulande eigentlich untersagt ist, sieht man immer häufiger ausgespuckte Tabakbeutel – auf der Straße, an Unis und Schulen, auf Sportplätzen.

Wie zuletzt auch E-Zigaretten stellen Marketing-Abteilungen Snus gerne als risikoarme, praktische Alternative zur Zigarette dar. Kein Suchtmittel, sondern ein Lifestyleprodukt. Profisportler, vor allem im Eishockey und Fußball, Rapper und Streamerinnen zeigen sich mit den typischen runden Dosen in knalligen Farben. Die Beutelchen haben Geschmacksrichtungen wie "Crispy Peppermint", "Breezy Mango" und "Exclusive Pear", exklusive Birne. Die Dosen gleichen Hockey-Pucks.

Neue Farben, alte Sucht

Medizinerinnen und Mediziner warnen: Zwar vermeiden Snus-Konsumierende den krebserregenden Rauch der Zigarette – eine gute Nachricht auch für Umstehende. Die Liste der möglichen Schäden ist dennoch lang. Viele Konsumierende schlafen schlechter, das Risiko psychischer Erkrankungen nimmt zu. Der Blutdruck kann steigen und mit ihm die Gefahr eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts. Langfristig leidet das Zahnfleisch, kann sich entzünden oder geht zurück. Kurzfristig kann eine Nikotinvergiftung eintreten – so ein kleines Päckchen ist schnell verschluckt, sein Nikotingehalt ist gerade für Kinder bedrohlich. Zudem gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Snus-Konsum und Krebs im Verdauungssystem, etwa an Bauchspeicheldrüse oder Mastdarm.

Doch selbst wenn sich diese Befürchtungen nicht bestätigen sollten, bleibt ein Risiko: Snus hat ein riesiges Suchtpotenzial. Die Beutel einiger Hersteller enthalten so viel Nikotin wie drei und mehr Zigaretten, sind allerdings deutlich unkomplizierter hinter die Lippe zu klemmen, als die Zigaretten zu rauchen wären – im Schulunterricht, beim Sport, in der Vorlesung, auf der Arbeit. 

Der Rat von Suchtexpertinnen und -experten lässt sich daher so zusammenfassen: Wer stark nikotinabhängig ist, täte aus gesundheitlicher Warte gut daran, von Zigaretten auf Snus umzustellen – und noch besser daran, beides sein zu lassen. Wer nicht abhängig ist, sollte nicht unterschätzen, wie schnell er es mit Snus werden kann. Dabei ersetzt das eine auch nicht unbedingt das andere: Viele Snus-Konsumierende rauchen auch Zigaretten.

In Deutschland de facto verboten

In der Europäischen Union ist der Verkauf von Snus offiziell verboten. Konsumieren darf es jeder, der 18 Jahre oder älter ist. Lediglich in Schweden gilt das Vertriebsverbot nicht – das Land hatte während der EU-Beitrittsverhandlungen eine Ausnahme erwirkt. In Deutschland gilt weißer Snus, in dem anstelle von Tabak reines Nikotin verarbeitet ist, zwar nicht als Tabakerzeugnis, darf als "neuartiges Lebensmittel" jedoch de facto ebenfalls nicht verkauft werden. Wie das Bundesinstitut für Risikobewertung feststellt, überschreiten die weißen Beutel den für Lebensmittel zulässigen Nikotingehalt und sind folglich "nicht verkehrsfähig". 

Ein Blick ins Internet, in die Regale und Automaten deutscher Kioske und Tankstellen zeigt jedoch: Wer Snus will, wird es ohne Probleme bekommen. Kontrollen des Verkaufsverbots bleiben zumeist aus. Wie schon bei E-Zigaretten ("Vapes") nutzen die Hersteller Geschmack, Verpackung und Farbe, um mit demselben Produkt gleich mehrere Zielgruppen anzusprechen. Auf die Nikotinaufnahme haben die zugesetzten Aromen keinen wesentlichen Einfluss.

Sorgt besserer Geschmack für stärkere Sucht?

In der Fachzeitschrift "Nicotine & Tobacco Research" weisen Forschende nun jedoch darauf hin, dass der Geschmack allein bereits einen entscheidenden Einfluss auf den Nikotinkonsum haben kann – das zeigten Versuche mit Ratten. Die Forschenden boten ihnen nikotinhaltige Lösungen an, wahlweise mit Haushaltszucker, dem Süßstoff Saccharin sowie Zimtaldehyd, dem Hauptaromastoff der Zimtrinde. Das Ergebnis: Gegenüber der neutralen Lösung bevorzugten die Ratten, Männchen wie Weibchen, verlässlich die gesüßten Lösungen, und ganz besonders den synthetischen Süßstoff. Je höher dessen Konzentration, desto auffälliger wurde das Suchtverhalten der Versuchstiere. Das Zimtaroma allein steigerte die Nikotinpräferenz nur bei den männlichen Ratten, in Kombination mit Zucker jedoch auch bei den Weibchen.

Versuche mit menschlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern führten die Forschenden nicht durch. Doch auch die Untersuchung des Suchtverhaltens von Säugetieren wie Ratten könne der Suchtprävention dienen, betont Deniz Bagdas, Hauptautor der Studie: "Zu verstehen, welche Rolle Süß- und Aromastoffe für die Attraktivität von oralen Nikotinprodukten spielen, kann die Regulierungspolitik und Strategien zur Schadensminimierung beeinflussen."

Bagdas forscht in der psychiatrischen Abteilung der Yale School of Medicine. In den USA zeigte eine Umfrage jüngst: Jugendliche ziehen aromatisierte Nikotinprodukte der klassischen Zigarette vor. Der Absatz von Nikotinbeuteln ist zwischen 2019 und 2022 um mehr als 600 Prozent gestiegen. Der Marktführer Zyn allein verkaufte in den USA im vergangenen Jahr knapp 600 Millionen Snus-Dosen – insgesamt gaben US-Amerikaner 2024 etwa drei Milliarden Dollar für die kleinen Nikotinbeutel aus.