Psychologie des Helfens: Wie uns der Benjamin-Franklin-Effekt sympathischer macht
Es klingt paradox: Wer uns unter die Arme greift, mag uns danach mehr. Der Benjamin-Franklin-Effekt beruht auf einem Gehirn, das versucht, bestimmte Störgefühle zu vermeiden

Es klingt paradox: Wer uns unter die Arme greift, mag uns danach mehr. Der Benjamin-Franklin-Effekt beruht auf einem Gehirn, das versucht, bestimmte Störgefühle zu vermeiden
Ist es Ihnen auch eher unangenehm, andere um einen Gefallen zu bitten? Zwar wäre es großartig, wenn heute ein Nachbar das Paket annehmen könnte. Oder die Kinder aufgrund eines wichtigen Termins von einer fremden Mutter zur Schule gebracht würden. Und wie hilfreich wäre es, am Kassenautomat im Parkhaus nach einer fehlenden Zwei-Euro-Münze fragen! Doch unbeliebt möchte sich kaum jemand machen – zumal gegenüber Unbekannten.
Dabei ist diese Sorge aus Sicht der Psychologie unbegründet. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass Menschen, die sich helfen lassen, von ihren Helferinnen und Helfern im Anschluss nicht etwa negativer, sondern im Gegenteil: positiver bewertet werden. Es klingt paradox: Obwohl uns jemand bittet, uneigennützig Zeit, Geld oder Energie zur Verfügung zu stellen, neigen wir offenbar dazu, diese Person mehr zu mögen, sobald wir der Bitte nachgekommen sind.
Der Namensgeber des Benjamin-Franklin-Effekts wusste Rivalen für sich zu gewinnen
Das dahinterstehende Phänomen ist auch als "Benjamin-Franklin-Effekt" bekannt. Der bekannte Staatsmann und Gelehrte Benjamin Franklin wurde 1706 als achtes von 17 Kindern eines Seifen- und Kerzenmachers aus Massachusetts geboren. Die Chancen, dass er es im Leben zu etwas bringen würde, waren sehr gering. Doch er schaffte genau das, weil er das Spiel zwischenmenschlicher Beeinflussung beherrschte, wie etwa im Buch "You are not so smart" von David McRaney nachzulesen ist.
Wie viele Menschen voller Tatendrang und Intelligenz, die in eine niedrige Position hineingeboren wurden, entwickelte Franklin ausgeprägte soziale Kompetenzen. In seiner Biografie beschreibt er, wie er einen politischen Rivalen für sich gewann, indem er ihn bat, ihm ein seltenes Buch aus seiner Bibliothek zu leihen. Der Konkurrent fühlte sich geschmeichelt und erfüllte die Bitte. Franklin schickte es eine Woche später mit einem Dankesschreiben zurück. Fortan begegnete der Rivale Franklin wohlgesinnter. Ja, der Feind wurde zum Fan. Beide verband schließlich eine tiefe Freundschaft auf Lebenszeit.
"Derjenige, welcher dir einmal eine Freundlichkeit erwiesen hat, wird eher bereit sein, dir eine weitere zu erweisen als der, dem du selbst einmal gefällig warst", beschreibt Franklin seine Beobachtung.
Experimente bestätigen den Benjamin-Franklin-Effekt
Wissenschaftliche Belege für den Benjamin-Franklin-Effekt lieferten Ende der 1960er Jahre die Psychologen Jon Jecker und David Landy ("Liking a person as a function of doing him a favour"). Die Forscher rekrutierten Teilnehmende für ein angebliches Wettbewerbsspiel, bei dem sie Geld gewinnen konnten.
Nachdem die Probanden ihr Preisgeld erhalten hatten, wurden sie zufällig in drei Gruppen aufgeteilt. Der Versuchsleiter bat einige Teilnehmende persönlich, ihm das Geld zurückzugeben, mit der Begründung, dass es aus seiner eigenen Tasche finanziert und er knapp bei Kasse sei. Andere Teilnehmende wurden von einer Sekretärin (also einer unpersönlichen Instanz) darum gebeten, das Geld dem Laborbudget zur Verfügung zu stellen. Die dritte Gruppe durfte das Geld behalten und wurden nicht um einen Gefallen gebeten.
Anschließend wurden alle Teilnehmenden gefragt, wie sympathisch sie den Versuchsleiter fanden. Tatsächlich fielen die Bewertungen der ersten Gruppe signifikant positiver aus.
Eine Erklärung des Phänomens hat damit zu tun, dass unser Gehirn es bevorzugt, wenn Denken und Handeln in Einklang miteinander stehen. Andernfalls entsteht ein Störgefühl, eine kognitive Dissonanz. Ein solcher Widerspruch täte sich auf, wenn wir jemandem helfen, den wir gar nicht mögen. Warum würden wir das tun? Es liegt in unserer Natur, dass wir diejenigen Menschen sympathisch finden wollen, denen wir unter die Arme greifen. Also passen wir unsere Wahrnehmung entsprechend an. Auf diese Weise rechtfertigt unser Gehirn unser Verhalten ("Ich habe ihm geholfen") mit einer Einstellungsänderung ("Er muss nett sein, sonst hätte ich das nicht getan"). Bei nächster Gelegenheit sind wir dann umso eher bereit, dieser Person erneut einen Gefallen zu tun.
"Kognitive Dissonanz" und "reziproke Zuneigung" erklären das Phänomen
Eine weitere Erklärung beruht auf dem Phänomen der "reziproken Zuneigung". Es beschreibt die Tendenz, diejenigen Menschen zu mögen, die auch uns mögen. Werden wir um Hilfe gebeten, gibt uns die hilfebedürftige Person schließlich indirekt zu verstehen, dass sie uns für kompetent, zuvorkommend, vertrauenswürdig hält – ein verstecktes Kompliment. Also erwidern wir diese Form der Zuneigung nur allzu gern.
Ganz gleich, was der gesteigerten Sympathie zugrunde liegt: Den psychologischen Mechanismus des Benjamin-Franklin-Effekts können wir uns gezielt zunutze machen, um Beziehungen anzubahnen und diese zu vertiefen. Ob argwöhnische Kollegin, mürrischer Nachbar oder ein vermeintlich wenig aussichtsreiches Date: Wenn wir höflich um Unterstützung bitten, steigen unsere Chancen, gleichzeitig auch ein paar Sympathiepunkte zu sammeln.
Wie strategisch man diese Methode einsetzen mag, muss jede und jeder für sich entscheiden. Dauerhafte Sympathie baut schließlich auf weit mehr als auf Hilfsbedürftigkeit. Doch in jedem Fall sollte uns das Wissen um die Existenz des Benjamin-Franklin-Effekts gelassener machen, wenn wir andere um einen Gefallen bitten. In der Regel werden wir doppelt belohnt.