Paläontologie: Das Rätsel der Ammoniten: Wie sie lebten und warum sie ausstarben
Ammoniten zählen zu den häufigsten Fossilien überhaupt, Abermillionen Versteinerungen zeugen von ihrem einstigen Erfolg. Doch die Kopffüßer bergen zahlreiche Geheimnisse. Warum?

Ammoniten zählen zu den häufigsten Fossilien überhaupt, Abermillionen Versteinerungen zeugen von ihrem einstigen Erfolg. Doch die Kopffüßer bergen zahlreiche Geheimnisse. Warum?
Sie zählten zu den erfolgreichsten Tieren aller Zeiten. Sie überlebten das größte Massenaussterben, das den Planeten je heimgesucht hat. Und schwammen über sechs erdgeschichtliche Perioden hinweg, weit mehr als 300 Millionen Jahre lang, durch die Urmeere: Ammoniten fühlten sich in tropischen Gefilden ebenso zu Hause wie in den eisigen Fluten der Polregionen, fanden Nahrung in den Schelfbereichen ebenso wie in den schier endlosen Weiten des offenen Ozeans. Dann, vor 66 Millionen Jahren, donnerte ein gewaltiger Asteroid auf der heutigen Halbinsel Yukatan auf die Erde und beendete die Ära jener formschönen Tiere mit den charakteristisch gewundenen Gehäusen.
Und doch finden sich bis heute zahllose ihrer Spuren: Weltweit tauchen Versteinerungen in Sedimentschichten auf, Abermillionen von ihnen haben Forschende wie Hobbysammler bereits entdeckt. "Ammoniten sind die häufigsten Makrofossilien, die wir kennen", sagt der Paläobiologe René Hoffmann von der Ruhr-Universität Bochum. "Für die geologische und paläontologische Forschung sind sie von unschätzbarem Wert. Viele Formen stellen wichtige Leitfossilien dar." Darunter verstehen Erdgeschichtler Fossilien, anhand derer sich das Alter von Gesteinsschichten abschätzen lässt, in denen sie eingeschlossen sind. Ammoniten dienen also als verlässliche Zeitmesser für die Rekonstruktion erdgeschichtlicher Vorgänge.
Der größte bekannte Ammonit war ein wahrer Koloss
In einigen marinen Sedimenten wimmelt es derart von den spiraligen Schalen, dass man sich vorstellen kann, wie es mancherorts im Meer ausgesehen haben muss: Man wäre durch ganze Schwärme von Ammoniten geschwommen. Die Größe der meisten Spezies rangierte zwischen einem und 30 Zentimetern. Hin und wieder aber wäre man auch einem wahren Koloss begegnet: Der größte bekannte Ammonit – entdeckt in einem Steinbruch im Münsterland – lebte während der Oberkreide, vor rund 80 Millionen Jahren, und erreichte einen Schalendurchmesser von knapp drei Metern. "Ammoniten bildeten ein überaus artenreiches Taxon"; sagt Hoffmann. "Wir gehen davon aus, dass es allein bis zu 30.000 Arten gab."
© Science Source / Millard H. Sharp
Doch obwohl ihre uralten Relikte zu Myriaden die Zeiten überdauert haben, obwohl Fachleute sie seit weit mehr als 100 Jahren untersuchen, bergen Ammoniten nach wie vor viele Rätsel. Wie eigentlich haben die Tiere gelebt? Wie genau sah ihr Körper aus? Wie viele Arme besaßen sie? Und weshalb sind die zähen Überlebenskünstler ausgestorben, während nahverwandte Organismen wie Kraken, Kalmare oder Sepien noch heute die Meere bevölkern?
Selbst die Frage, ob die Urzeittiere über den Meeresgrund krochen oder umherschwammen, ist nicht abschließend geklärt. René Hoffmann allerdings ist überzeugt, dass Ammoniten keine Bodenbewohner waren. "Bislang sind nirgendwo Spurenfossilien aufgetaucht, also im Gestein erhaltene Kriechspuren", sagt der Wissenschaftler. "Derartige Hinweise sollte es aber zuhauf geben, wenn Ammoniten ihre Schalen auf einem Kriechfuß, ähnlich wie Schnecken, über weiches Sediment gezogen hätten."
Zum Verständnis über Ammoniten tragen die heute lebenden Perlboote bei
Vermutlich verbrachten die Kopffüßer ihr Leben im freien Wasser. Dazu passt auch das, was über ihre Anatomie bekannt ist. Das kalkhaltige Gehäuse bestand aus einer großen, zu einer Seite hin offenen Wohnkammer, in der der Großteil des Weichkörpers samt Kopf und Armen Platz fand. Dahinter reihten sich – spiralig aufgerollt – ältere, im Zuge von Wachstumsphasen verlassene Bereiche der Wohnkammern (dieser gekammerte Bereich wird auch Phragmokon genannt).
Die Schalen dienten höchstwahrscheinlich als Auftriebskörper. Darauf lässt nicht zuletzt der Blick auf eine Schwestergruppe der Ammoniten schließen: auf die Perlboote, die heute noch leben und eine gewisse Ähnlichkeit mit ihren ausgestorbenen Verwandten zeigen. Die auch Nautiliden genannten Kopffüßer verfügen ebenfalls über eine gewundene, in Kammern gegliederte Schale. Die älteren, nicht mehr als Wohnkammern benötigten Parzellen pumpen die Tiere über einen komplizierten Mechanismus leer und befüllen sie mit einem stickstoff- und kohlenstoffdioxidreichen Gas. So können sie trotz ihrer vergleichsweise schweren Kalkschale im Wasser schweben. Ein Mechanismus, der mit Sicherheit auch bei den Ammoniten zum Tragen kam.
© Damian Gorczany
Rätsel wiederum geben die Wände zwischen den einzelnen Kammern auf: Bei Nautilus sind diese Septen mehr oder weniger einfach gewölbt. Bei vielen Ammoniten dagegen sind die Kammerscheidewände überaus komplex geformt, zum Schalenrand hin vielfach gefaltet und in diversen Windungen verästelt. Bei den teils stark gewundenen Nähten zwischen der Gehäusewand und den Kammerscheidewänden sprechen Experten auch von Lobenlinien.
Wozu der Aufwand? "Ich gehe davon aus, dass diese Oberflächenvergrößerung dabei half, neu gebildete Kammern, die zunächst vollständig mit Flüssigkeit gefüllt waren, schneller leer zu pumpen – und so rascher wachsen zu können", sagt René Hoffmann. "Perlboote können locker zwei Jahrzehnte alt werden, die meisten Ammoniten dagegen starben wahrscheinlich bereits nach ein oder zwei Jahren." In puncto Größenzunahme mussten sie also mehr Gas geben.
Zumal Ammoniten als Winzlinge zur Welt kamen. Muttertiere legten schätzungsweise zwischen 1000 und 100.000 Eier, die jeweils bloß wenige Millimeter maßen. Aus ihnen schlüpften bereits fertige Ammoniten, die – noch zwergenhaft – sich selbst überlassen wurden und rasch heranwuchsen. Das zarte Schlupfgehäuse, das die Körperchen der Jungen in den ersten Stunden oder Tagen ihres Lebens schützte, kann man, unter geeigneter Vergrößerung, noch bei Versteinerungen alter Tiere erkennen: Es sitzt, so wie bei Nautiliden, im Zentrum der Gehäusespirale. Die Schale wird nämlich, wie bei Muscheln und Schnecken, durch kontinuierliches Anlagern von neuem Material erweitert, gut erkennbar an den feinen Anwachsstreifen auf der Oberfläche.
Vermutlich folgten Ammoniten den zyklischen Wanderungen ihrer Beutetiere
Auch zur Fortbewegung nutzten Ammoniten vermutlich den gleichen Trick wie die heutigen Perlboote: das Prinzip des Rückstoßes. Dafür pressten sie Wasser aus einer Art Körpertasche, der Mantelhöhle, durch einen unter dem Kopf liegenden Trichter. Wie durch eine Düse verdichtete sich der Strahl und verlieh so dem Körper den nötigen Impuls, um von A nach B zu kommen.
René Hoffmann geht davon aus, dass Ammoniten vertikale Wanderungen vollführten. Das heißt, dass sie – möglicherweise in tageszeitlichen Zyklen – in der Wassersäule auf- und abstiegen, vielleicht einige hundert Meter. Nicht zuletzt legt ihr Nahrungsspektrum diese Vermutung nahe. Ammoniten fraßen, wie entsprechende Funde zeigen, mit Vorliebe Zooplankton: etwa winzige Krebse oder Schnecken, Foraminiferen (marine Einzeller), flotierende Haarsterne. Mit einer zähnchenbesetzten Reibezunge vermochten die Kopffüßer diese nahrhaften Happen zu verdaulichen Partikeln zu zerkleinern.
Tierische Planktonorganismen sind allerdings in einer ständigen Bewegung, steigen nachts in Massen zur Meeresoberfläche auf, wo sie unter anderem Algen fressen, und sinken morgens wieder in tiefere Schichten ab. Wahrscheinlich also folgten Ammoniten ihrer Beute im Rhythmus der auf- und untergehenden Sonne.
Doch wie ergriffen Ammoniten ihre anvisierten Leckerbissen? Hatten ihre Arme Saugnäpfe oder hornige Fangarmhäkchen? Ein weiteres Geheimnis, dass die ausgestorbenen Urzeittiere – zumindest bislang – mit ins Grab genommen haben. Denn obwohl ihre Gehäuse allerorten auftauchen, haben Forschende noch keine einzige Versteinerung der Arme zu Tage gefördert. Als Laie könnte man vermuten, solche fleischigen Partien würden schlicht nicht fossilisieren. Doch weit gefehlt.
Es gibt hervorragende Versteinerungen von Weichteilen anderer Organismen: Körper von Meereswürmern etwa, Mägen von Fischen, Flughäute von Fledermäusen oder gar Quallen die zu 98 Prozent aus Wasser bestehen – um nur ein paar zu nennen. Oder auch die mit Häkchen besetzten Fangarme der ebenfalls ausgestorbenen Belemniten, die pfeilschnell durch die Meere schossen.
© RUB, René Hoffmann
"Dass der Fossilbericht bei Ammoniten hier eine Lücke lässt, liegt an ihrer Lebensweise und Anatomie", sagt Hoffmann. Versteinern können Weichteile nur dann, wenn diese schnell im Sediment eingebettet werden. Doch man solle sich, so der Paläobiologe, einmal vorstellen, was geschah, wenn ein Ammonit starb: Das tote Tier sank mitnichten auf den Grund, wo ein möglicher Fossilisierungsprozess beginnen konnte. Vielmehr sorgte das Gehäuse mit seinen gasgefüllten Kammern für Auftrieb, so dass der schlaffe Kadaver weiterhin unter den Wellen dahintrieb: ein gefundenes Fressen für Heerscharen hungriger Mäuler, die sich die proteinreiche Kost einverleibten. Bevor die Gehäuse also, ganz allmählich, voll Wasser liefen und schließlich auf den Meeresboden absanken, waren die Weichteile der Ammoniten samt Fangarmen längst verputzt.
Dass Ammoniten mit Blick auf die Anzahl ihrer Arme ebenfalls den Nautiliden ähnelten, ist eher unwahrscheinlich. "Perlboote haben bis zu 90 Arme, doch ich würde darauf tippen, dass Ammoniten eher zehn Fangarme besaßen", sagt Hoffmann. Die Vermutung des Forschers gründet auf der Tatsache, dass zu den nächsten Verwandten der Ammoniten zehnarmige Kopffüßer zählen und selbst Nautiliden in der Frühphase der Entwicklung zehn Armanlagen aufweisen.
Sicher ist: Im Devon, vor rund 400 Millionen Jahren, entstanden, stellten Ammoniten ein außerordentliches Erfolgsmodell der Evolution dar, bildeten einen integralen Bestandteil der marinen Ökosysteme, waren auf vielschichtige Weise verwoben im Netz der Nahrungsbeziehungen. Sie überlebten vor 250 Millionen Jahren den Übergang vom Perm zur Trias und damit das verheerendste Massenaussterben, dem 90 Prozent aller Arten zum Opfer fielen. Ausgelöst durch massive vulkanische Aktivitäten, als damals der Superkontinent Pangäa zerbrach.
Aussterben: Was wurde den Ammoniten letztlich zum Verhängnis?
Doch warum machte der Asteroid vor 66 Millionen Jahren den widerstandsfähigen Mollusken schließlich den Garaus? "Vielleicht besiegelte ein Geheimnis ihres Erfolgs das Schicksal der Ammoniten", spekuliert René Hoffmann. Zum einen, so der Forscher, war besonders das marine Plankton von der Katastrophe betroffen. Und damit die Nahrungsgrundlage der Ammoniten.
© RUB, René Hoffmann
Zum anderen legten Ammoniten zwar extrem viele, doch sehr kleine Eier. Die Gehäuse der Schlüpflinge waren entsprechend dünn und die Jungtiere selbst Teil des Planktons. Da die Meere damals versauerten, könnten sich die hauchfeinen Kalkschalen aufgelöst haben. Perlboote dagegen legen größere Eier, die Jungen kommen also mit etwas robusteren Gehäusen zur Welt, und sie waren beim Nahrungserwerb weniger wählerisch , fraßen vermutlich auch Aas. Ein Faktor, der ihnen das Überleben gesichert haben könnte.
Wie so vieles im erloschenen Leben der Ammoniten liegt auch ihr Aussterben ein Stückweit im Dunkeln. Doch wer weiß? Vielleicht wird die Ammoniten-Forschung irgendwann auch dieses Geheimnis lüften.