Japangraben: Ein Tunnelsystem am Meeresgrund: Tiefseewürmer erschaffen Lebensräume
Kilometer unter der Meeresoberfläche wühlen sich geheimnisvolle Organismen durch den Grund des Japangrabens. Wie wichtig sie für das Ökosystem der Tiefsee sind, zeigt eine neue Studie

Kilometer unter der Meeresoberfläche wühlen sich geheimnisvolle Organismen durch den Grund des Japangrabens. Wie wichtig sie für das Ökosystem der Tiefsee sind, zeigt eine neue Studie
Die Meeresforschung unterteilt die offene See in fünf Etagen. Ganz oben liegt das Epipelagial. Die meisten Speisefische schwimmen dort, jagen, werden gejagt. Auch Planktonalgen gibt es dank des einfallenden Sonnenlichts zuhauf: das erste Glied einer langen Nahrungskette.
Schon 200 Meter unter der Meeresoberfläche jedoch kommt nur noch ein Prozent dieses Sonnenlichts an. Hier beginnt eine dämmrige Zone in fahlem Licht: das Mesopelagial. Es reicht etwa einen Kilometer tief. Dann folgen Bathypelagial, Abyssopelagial, Hadopelagial. Oder, kurz, die Tiefsee.
Über das Leben in diesen Tiefen weiß der Mensch nur wenig. Bis weit ins 19. Jahrhundert dachte er gar, hier könne kein Leben existieren. Zu unwirtlich erschien dieser Ort, zu dunkel, zu kalt. Denn mit zunehmender Tiefe schwindet nicht nur das Sonnenlicht. Auch die Wassertemperatur nimmt ab; sie liegt im oberen Mesopelagial bei fünf bis sechs Grad Celsius, unterhalb von 3000 bis 4000 Metern bei drei bis null Grad. Hinzu kommt der Druck: In einem Kilometer Tiefe lasten 100 Kilogramm auf jedem Quadratzentimeter eines Körpers, Menschen würden nach Bruchteilen einer Sekunde zerquetscht werden.
Heute weiß die Forschung es besser. Flohkrebse, Kaltwasserkorallen, Tiefseedorsche, Ringelwürmer, Kaltwasserkorallen, Peitschennasen-Angler und viele mehr haben sich diesen widrigen Bedingungen angepasst. Allein in der Clarion-Clipperton-Zone, einem Tiefseegebiet im östlichen Pazifik, leben Schätzungen zufolge 5580 Tierarten, darunter Garnelen und Krebse, Tiefseewürmer, Seeigel und wundersam geformte Schwämme. Etwa 90 Prozent dieser Arten, so schreibt es ein Forschungsteam aus London, seien noch nicht wissenschaftlich beschrieben worden. Entsprechend unbekannt sind die mannigfaltigen Interaktionen zwischen den verschiedenen Arten und ihrer Umwelt. Das gilt besonders für den Tiefseegrund.
Ein wenig Licht ins Dunkel bringt eine soeben im Fachmagazin "Nature Communications" erschienene Studie. Sie zeigt: Auf dem Meeresgrund des Japangrabens, 7,5 Kilometer unter der Meeresoberfläche, wühlen sich Organismen durch die abgelagerten Sedimente. Und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Nährstoffkreislauf ihres Ökosystems.
Ihre Bohrkerne untersuchten die Forschenden per Röntgenstrahlung
Ein Forschungsteam um den finnischen Geologen Jussi Hovikoski entnahm 20 Proben aus dem Meeresgrund des Japangrabens, einer 800 Kilometer langen Tiefseerinne im nordwestlichen Pazifik. Die Proben bestanden aus Sedimenten, die sich während des Holozäns abgelagert haben, aus ursprünglich feinkörnigem Material, das über die Jahrtausende hinweg von den steilen Rändern der Tiefseerinne hinabrieselt und sich am Meeresgrund verdichtete. Ihre Bohrkerne untersuchten die Forschenden per Röntgenstrahlung und mit geochemischen Analysen. Dabei entdeckten sie ein regelrechtes Tunnelsystem, geschaffen von Organismen, denen der Tiefseegrund als Lebensraum und Nahrungsgrundlage dient.
Sobald die herabrieselnden Sedimentschichten sich am Meeresgrund verdichten, so belegen es die Analysen der Forschenden, kommen die ersten Siedler. Seegurken (Holothuroidea) und andere Organismen wühlen sich durch frischen Tiefseeboden. Sie nutzen vor allem den hohen Nährstoff- und Sauerstoffgehalt, fräßen "typischerweise 20 Zentimeter dicke, intensiv bioturbierte Gewebe" in das Sediment. Von "Bioturbation" sprechen Fachleute, sobald Organismen – sei es an Land oder auf dem Meeresgrund – Böden durchwühlen und damit einen wertvollen Beitrag zum Nährstoffkreislauf leisten.
Dabei wird das organische Material in den Sedimenten nach und nach zersetzt, auch sein Sauerstoffgehalt sinkt. Kleinere Organismen übernehmen, schaffen ein neues, mitunter spiralförmig und weit verzweigtes Wühlsystem. In dieser Phase besiedeln wirbellose Arten die Sedimentschichten, vermuten die Forschenden. Sie machen sich die mikrobiellen Gemeinschaften in den Böden zunutze.
Ihre Forschung hat auch eine politische Dimension. Manche der Ablagerungen, die sich über die Jahrtausende auf dem Grund der Tiefsee gebildet haben, sind heiß begehrt: Manganknollen etwa, Massivsulfide oder Kobaltkrusten. Sie beinhalten kritische Metalle, deren globaler Bedarf immer weiter steigt: für Computerchips und Handyakkus, aber auch für die Energiewende. Um die Rohstoffe zu ernten, müsste man die Sedimente auf dem Meeresgrund weiträumig einsaugen: jenen Lebensraum, den die Forschenden im Japangraben untersucht haben, den die Forschung bislang kaum versteht.