Der Transatlantik-Fisch: Wellenreiter aus der Tiefsee: Wie Aale ins Mittelmeer surfen

Wie kommen die Larven des Europäischen Aals aus dem fernen Atlantik in mediterrane Gewässer Europas zurück? Eine Studie zeigt: Sie reiten im Ozean auf Gezeitenwellen  

Feb 21, 2025 - 18:04
 0
Der Transatlantik-Fisch: Wellenreiter aus der Tiefsee: Wie Aale ins Mittelmeer surfen

Wie kommen die Larven des Europäischen Aals aus dem fernen Atlantik in mediterrane Gewässer Europas zurück? Eine Studie zeigt: Sie reiten im Ozean auf Gezeitenwellen

 

Er ist ein Wanderer zwischen den Welten, und seine Extremreisen lassen Forschende nach wie vor ungläubig staunen: Der Europäische Aal Anguilla anguilla folgt einem einzigartigen Fernweh, das zweifellos zu den sonderbarsten Phänomenen der Tierwelt gehört. Die Fische leben in Küsten- und Binnengewässern zwischen dem Nordkap und der Türkei. Im Alter jedoch ziehen sie Tausende Kilometer weit in den Westatlantik, um sich dort fortzupflanzen – und dann zu sterben. 

Wie schaffen es ihre Nachkommen, die "Weidenblatt-Larven" der nächsten Aal-Generation, in die Flüsse und Buchten Europa zurückzuschwimmen? 

Für die stark bedrohten Bestände des Aals im Mittelmeerraum hat ein Forschungsteam des Thünen-Instituts für Fischereiökologie nun dieses Rätsel der Vagabundenfische geklärt. In einer Studie, durchgeführt auf dem deutschen Forschungsschiff "Meteor" in der Meerenge von Gibraltar, bewiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Tagsüber ziehen Aal-Larven durch die lichtlosen Weiten der Tiefsee. Nachts aber nutzen sie auflaufende Gezeitenwellen, um in die oberen Wasserschichten zu wandern – und dort mit ostwärts gerichteten Strömungen bis ins Mittelmeer zu gelangen. 

Plattform der Aalforschung: Vom Forschungsschiff "Meteor" aus ging das Team des Thünen-Instituts vor Gibraltar den Wanderungen der Larven ins Mittelmeer nach
Plattform der Aalforschung: Vom Forschungsschiff "Meteor" aus ging das Team des Thünen-Instituts vor Gibraltar den Wanderungen der Larven ins Mittelmeer nach
© Marko Freese / Thünen-Institut

Sie surfen zurück in die Heimat, aus der ihre Eltern einst auswanderten: Erst die "perfekte Welle" trägt die nur wenige Zentimeter messenden Larven über die Schwelle der Meerenge zwischen Afrika und Europa. "Sowohl das Timing als auch die Dynamik der Strömungen sind entscheidend", sagt Marko Freese, der die Untersuchungen leitete.

Sterben die Aale aus, bevor die Geheimnisse ihrer Wanderungen geklärt sind?

Für die Zukunft der Aale könnten solche Erkenntnisse zum Verständnis des Lebenszyklus unschätzbar wertvoll sein.  

Die Bestände sind in den vergangenen 50 Jahren dramatisch zusammengebrochen: um mehr als 90 Prozent. Die Fischereiministerien der Europäischen Union haben 2024 daher zwar die Schonzeiten ausgedehnt – von drei auf sechs Monate. Nach wie vor aber leiden die Aale unter verbauten Flüssen und Industriegiften in den Binnengewässern, möglicherweise auch an den steigenden Temperaturen und Mikroplastik-Ansammlungen im Atlantik. Aus dem Handel mit jungen "Glasaalen", die in Küstengebieten gefangen und dann in Flussläufen für die Fischerei wieder ausgesetzt werden, ist ein hochlukrativer Schwarzmarkt entstanden. 

Mit Netzen und Strömungsmessungen auf den Spuren der Vagabunden: An Bord der "Meteor" verfolgten die Forschenden Aal-Larven sowohl tagsüber als auch nachts
Mit Netzen und Strömungsmessungen auf den Spuren der Vagabunden: An Bord der "Meteor" verfolgten die Forschenden Aal-Larven sowohl tagsüber als auch nachts
© Marko Freese / Thünen-Institut

Könnten die Aale aussterben, bevor wir ihr Leben nur ansatzweise verstanden haben? Erst vor wenigen Jahren gelang es Forschungsteams erstmals, laichbereite Aale mit Peilsendern auszustatten und so ihren Weg in das Paarungsgebiet im Atlantik genauer nachzuverfolgen. 

Die Spur der Globetrotter führte mitten in die Sargassosee, ein von Strömungen eingekreistes "Meer ohne Ufer". Hier scheinen die Aale sich in der Tiefsee zu Abertausenden fortzupflanzen. Bis heute jedoch hat noch kein Forschungsteam je ein Paar in flagranti erwischt – oder auch nur ein einziges Aal-Ei tatsächlich gesehen.